Besuch im Deutschen Museum
Unser Apothekarium ist im Großraum München und Umgebung das einzige reine Apothekenmuseum. Das verwundert ein wenig, denn ansonsten gibt es in München für wirklich alles ein Museum und nicht selten eines von Weltrang. So ganz weiß war der Fleck auf der Landkarte aber dann doch nicht, denn das Deutsche Museum, eines der weltweit größten Wissenschafts- und Technikmuseen, hat bereits seit 1907 unter der Ägide des ersten Kurators der Chemie-Abteilung, Dr. Armin Süßengurth, eine umfangreiche pharmaziehistorische Sammlung angelegt, für die 1914 eine passende historische Apothekeneinrichtung als Kulisse gesucht wurde.
Hans Rehm, Inhaber der Hofapotheke St. Emmeram in Regensburg, stiftete dem Museum 1914 zusammen mit über 100 Original-Standgefäßen die Rokoko-Einrichtung der Klosterapotheke von 1736. Denn diese hatte die Hofapotheke größtenteils bei der Säkularisation des Klosters (1810) in Privatbesitz übernommen (ein anderer Teil hingegen ging über in die Sammlung Thurn und Taxis). Rehm hatte das Mobiliar noch in seiner Materialkammer im Keller genutzt. Jedoch scheute das Deutsche Museum die Aufbereitung der mit grüner Farbe übermalten Apothekenmöbel, lieh sie stattdessen aus an das Schloss Aschaffenburg, wo sie nach aufwändiger Überrestaurierung in Rot-Gold in den Jahren 1972–2016 ausgestellt war. Danach gab Aschaffenburg sie dem Deutschen Museum zurück, das sie aber nicht mehr gebrauchen konnte, sondern ins Depot einlagerte, da zwischenzeitlich schon längst eine andere Lösung als Präsentationskulisse gefunden war.
Denn bereits 1925 hatte sich das Museum entschlossen, Möbel einer historischen Offizin, d. h. Schubladenschränke mit Regal-Aufsätzen sowie einen Rezepturtisch, selbst nachzubauen. Dieses Ensemble, das heute noch in der Schau-Apotheke zu sehen ist, repräsentiert jedoch keineswegs eine übliche Rokoko-Offizin. Die 196 Schubladen weisen eine ungewöhnliche Bemalung mit Landschaftsmotiven auf, die der Kunstmaler Hermann Weber nach Vorgaben des von Dr. Süßenguth beauftragten Architekten Franz Anton Zell gefertigt hat; stilistisch sind sie der Kräuterkammer der Stern-Apotheke Nürnberg nachempfunden, die seinerzeit im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg zu sehen war. Später haben Besucher diese Hintergründe missverstanden und die gesamte Präsentation im Deutschen Museum für ein Rekonstrukt der Klosterapotheke von St. Emmeram gehalten.
Dr. Süßenguths Konzept war indes nicht die Rekonstruktion einer ausschließlich vom kunsthistorischen Standpunkt wertvollen historischen Apotheke. Im Vordergrund stand vielmehr der didaktische Sinn und Zweck, dem Besucher die Arbeitsweise eines Apothekers um 1750 nahezubringen. Er sollte die Vielfalt der Materialien und Gefäßtypen verstehen lernen, in denen Substanzen aus den Drei Reichen der Natur aufbewahrt wurden, die einst Grundlage für alle vom Apotheker gefertigten Arzneien waren. Zu diesem didaktischen Zweck wurden einige Schubladen zweisprachig auf Latein und Deutsch beschriftet, was historisch nicht korrekt ist und ein Museum heute wohl nicht mehr machen würde.
Im Rahmen des großen mehrstufigen Umbauprojekts des Deutschen Museums (2006 begonnen und bis 2028 veranschlagt) wurde die Ausstellung „Pharmazie – Alles Leben ist Chemie!“ im Juni 2022 geschlossen; als Teil des Komplexes „Mensch und Umwelt“ soll sie neu konzipiert werden, und für die Schau-Apotheke war in diesem Rahmen kein Platz mehr vorgesehen. Zum Glück fand man aber in der bereits neu gestalteten Unterabteilung „Gesundheit – Von Kopf bis Fuß“ noch einen freien Raum im hinterletzten Winkel des Gebäudes: ganz nach oben, soweit es geht, dann ganz nach hinten durch, soweit man kommt – das ist die Wegbeschreibung.
Am Wochenende 2./3. Juli 2022 fand nun die große Wiedereröffnungsfeier nach Fertigstellung der ersten Hälfte des Renovierungsprojekts statt, und die Apotheke war mit dabei! Also hieß es nichts wie hin und sich ins Getümmel werfen im Vertrauen darauf, dass a) die Maske dicht hält und b) die meisten Leute nicht bis zur Apotheke kommen. Und so war es dann auch: wenn man sich erstmal durch Roboter, Flugzeuge und den Weltraum gekämpft und einiges an Höhe gewonnen hat, wird es deutlich entspannter.
Um es vorwegzunehmen: die neue Präsentation ist zwar die alte, aber in einem kleineren und besser beleuchteten Raum, so dass man näher am Geschehen ist. Den Aufbau empfinde ich außerdem als logischer und auch viel attraktiver als zuvor, insofern ein echter Gewinn für die Besucher.
Blickfang sind die über 100 Fayencen aus der Anfangsausstattung der Klosterapotheke St. Emmeram (um 1734–1740), die möglicherweise in Nürnberg gefertigt wurden. Sie tragen in ihrer Kartusche das Wappen des Reichsstifts: Gekrönter violetter Doppeladler mit Zepter und Schwert in seinen Fängen, darüber die Krone, umgeben von blauem Rankwerk.
Die übrigen Standgefäße wurden aus verschiedenen Apotheken zusammengetragen. Einige Beispiele:
- Albarelli des frühen 18. Jahrhunderts für Salben und dickflüssige Stoffe gibt es aus Spanien mit diagonaler Beschriftung in Blau-Weiß. Auch farbenfroh mit antikisierenden Motiven bemalte italienische Albarelli sind ausgestellt.
- Frühe Porzellangefäße aus der ehemaligen Kurfürstlichen Hofapotheke Bayern (Münchner Residenz) mit einer von Löwen gehaltenen und vom Fürstenhut bekrönten Kartusche fertigte die Porzellanmanufaktur Nymphenburg um 1760.
- Fayencen aus der Löwenapotheke Erfurt sind kaum von frühem Porzellan zu unterscheiden.
- Kalt bemalte Gläser aus der Elefantenapotheke Regensburg sind um 1770 zu datieren.
- Vierkantflaschen mit ungewöhnlicher schwarzer Kartusche und Beschriftung sowie Umrahmung mit goldener Ranke stammen aus der Spitalapotheke zum Heiligen Geist Nürnberg Mitte des 18. Jahrhunderts.
Standgefäße, deren Kartuschen leer waren, wurden teilweise vom Museum zweisprachig Latein / Deutsch neu beschriftet. Das ist – wie beim Nachbau des Mobiliars – nicht authentisch (s. o.), war aber seinerzeit aus dikdaktischen Gründen so gewollt. Um die typischen Substanzen aus Pflanzen, Tieren und Mineralien, die in einer Landapotheke im 18. Jahrhundert hergestellt wurden, zu dokumentieren, hat das Deutsche Museum ferner mit Hilfe des Innsbrucker Pharmazeuten und Sammlers Dr. Andreas Winkler, Innsbruck, eine Mustersammlung von ca. 250 leeren Apothekengläsern aufgebaut, in die die passenden Drogen eingefüllt wurden – auch diese versehen mit zweisprachiger Beschriftung. Dabei werden auch heute so kurios anmutende tierische Substanzen wie Spanische Fliegen und getrocknete Kröten, die einst die Animalia aus den Drei Reichen der Natur repräsentierten, dem Besucher nahegebracht. An Arbeitsgeräten, die ebenfalls aus zahlreichen Apotheken zusammengetragen wurden, sind ein 90 kg schwerer Mörser aus der Marienapotheke Augsburg, ein Steinmörser aus der Elefantenapotheke Regensburg, ein Waagenständer aus Nürnberg, ein Pillenvergolder aus der Klosterapotheke Andechs und weitere Gerätschaften aus der Innsbrucker Sammlung Winkler hervorzuheben.
Die Highlights für mich waren die Nymphenburger Porzellangefäße aus der Hofapotheke der Münchner Residenz von ca. 1760 sowie die beiden Waagenhalter auf dem Rezepturtisch.
Nur schade, dass es nicht das in Barockapotheken übliche Krokodil gibt und auch die geschnitzten Schlangen nicht über dem Rezepturtisch hängen, wo sie eigentlich hingehören. Am Eingang zur Ausstellung, wo sie aktuell präsentiert werden, wirken sie ein wenig beliebig. Es wird nicht klar, dass solch ein Dekorationselement keinesfalls zur Standardaustattung einer Apotheke gehörte, sondern zu allen Zeiten etwas Besonderes war.
Die Decke schmückt stattdessen das Gemälde Die Heilkunst, das der Münchner Maler Waldemar Kolmsperger der Ältere 1922 im Auftrag des Deutschen Museums in Secco-Technik schuf. Dargestellt in dem symbolträchtigen Werk sind Asklepios, Gott der Heilkunst, mit dem Äskulapstab, seine Tochter Hygieia, Göttin der Gesundheit, mit Schale und Schlange zusammen mit dem legendären Einhorn.
Über 250 Holzdosen des 18. Jahrhunderts, farbig gefasst und reich dekoriert, stammen u.a. aus Apotheken in Wunsiedel, Eichstätt und Kloster Banz. Zum Teil wurden mehrere spätere Übermalungen des 19. Jahrhunderts entfernt.
Zum Schluss noch ein praktischer Hinweis für schreckhafte Charaktere: bei allzu großer Begeisterung für die Exponate ertönt eine unfreundliche Stimme, die den Besucher zurückpfeift. Wer sich also zwecks besserer Sicht über das Geländer beugen möchte, der sollte zunächst die Positionen der Bewegungsmelder an der Decke studieren.
Insgesamt also eine erlebnisreiche Ausstellung, die richtigerweise nicht im Depot verschwunden ist. Einige Objekte sind von erheblicher kunsthistorischer Bedeutung, und das gesamte Ensemble sicherlich auch ein optisches Highlight im ansonsten eher nüchternen Gesundheitstrakt.
Der Beitrag wurde im Oktober 2023 gegenüber der Ursprungsfassung vom 12. Juli 2022 erweiternd überarbeitet, nachdem uns der zuständige Kurator im Deutschen Museum, Dr. Florian Breitsameter, einige Hintergründe und Details zu den Exponaten erläutert hatte, die aus der Dokumentation vor Ort nicht erkennbar und auch in der Literatur nicht nachlesbar waren. Wir danken insoweit herzlich diesem erläuternden Input. Gabriele Mayring