Himmlische Düfte und Öle zur Winterzeit

Am 27. Januar um 18 Uhr haben meine Kooperationspartnerin, die PTA, Gesundheitsberaterin und Naturpädagogin Sieglinde Schuster-Hiebl, und ich wieder zu einem Event im Apothekarium eingeladen. 12 Gäste haben sich durch Dunkelheit, Kälte, Schnee und Glatteis gekämpft, um etwas Duft und Wärme in den Räumlichkeiten der ehemaligen Hubertus-Apotheke Valentin Mayring zu erfahren.

Zur Apotheken- und Museumsgeschichte brauche ich heute kaum etwas zu erzählen – alle Gäste sind entweder schon einmal hier gewesen oder bestens aus Zeitungsberichten und allgemeiner Mundpropaganda über uns informiert. Wer etwas früher da ist, kann zudem, während Sieglinde noch den Präsentationstisch aufbaut, von meinem Mann Ulrich und mir noch Antworten auf Fragen zu einzelnen Aspekten und Exponaten erhalten.

Punkt 18 Uhr springen wir aber gleich in medias res: Schwerpunkt für heute Abend ist zunächst die Rose. Von der frischen Pflanze haben wir um diese Jahreszeit nur kahle Zweige mit winzigen Hagebutten von der Büschelrose (Rosa multiflora) anzubieten, sofern die Vögel diesen noch nicht den Garaus gemacht haben. Umso wichtiger ist die Frage, was man mit der duftenden Pflanze alles machen kann. Dazu nehmen wir nicht die hochsensiblen, gezüchteten Gartenrosen zur Grundlage, sondern die für unsere Zwecke geeignetere und beliebtere, unveredelte Wildrose, von der viele Kultur-Rosenzüchtungen abstammen. Die bekannteste und häufigste Wildrosen-Art bei uns ist die Hundsrose (rosa canina), auch Heckenrose, Heiderose oder Hagrose genannt, doch es gibt weitere, seltenere Arten (z.B. die Essig-Rose – rosa gallica -, die man schon in der Antike und in mittelalterlichen Klostergärten als Heilpflanze nutzte. Allen Wildrosen-Arten gemeinsam ist ihre einfache radiale Blüte mit 5 Kelch- und 5 Kronblättern, die im Einzelnen nur wenige Tage offen ist, als Nahrungsquelle für Bienen und viele Insektenarten sommers von großer Bedeutung; im Winter füttert die Pflanze Tiere mit ihren Hagebutten, die zahlreiche Edelrosen-Sorten nicht mehr ausbilden.

Sieglinde hat unseren Rezepturtisch mit Infomaterial und allerlei Produkten bestückt. Zwischen manchem, was man so kennt (Babyöl, Badesalz, Tee, Seife, Cremes, Kerzen), greift sie nun gezielt spannende Beispiele heraus, die sie zum Testen herumreicht: Erst gibt’s 100 % naturreines Bio-Rosenwasser in einer grünen, dann eine Blüten-Tinktur in einer blauen Flasche und schließlich – Achtung, nicht zu verwechseln! – ein winziges Fläschchen 100 % naturreines ätherisches Öl aus der wundersam duftenden, von der Blüte her ähnlichen Zistrose, die aber botanisch nicht mit der Rose verwandt ist: Diese im Mittelmeerraum auf trockenen steinigen Böden wachsenden Pflanzen der Gattung Cistus haben mit der Wildrose nur eines gemein, nämlich dass ätherische Öle zu ihren Inhaltsstoffen zählt. Sowohl aus Rosenwasser als auch aus dem ätherischen Öl von der Rose lassen sich übrigens auch Salben herstellen, was man seit dem 17. Jahrhundert schon wusste. Und auch für die Vitamin-C-reichen Hagebutten weiß Sieglinde eine naturheilkundliche Verwendung: Täglich 1 Teelöffel Hagebuttenpulver aufgelöst in Saft, Müsli, Joghurt oder als kalt gerührte Marmelade zur Linderung von Arthroseschmerzen und Erhaltung der Beweglichkeit. Gibt es auch als Kapseln. Wer sich traut, Hagebutten selbst zu pulverisieren, muss darauf achten, dass die Früchte bei der Trocknung nicht zu heiß werden (maximal 40°C), denn sonst gehen die wertvollen Galactolipide verloren.

Porzellangefäß
Apothekarium: Französisches Porzellangefäß (um 1860) für Rosensalbe

Zurück zum Thema ätherische Öle – was ist das nun? Es sind Pflanzeninhaltsstoffe aus verschiedenen, ineinander löslichen flüchtigen Stoffen wie Alkoholen, Estern, Ketonen oder Terpenen; im Gegensatz zu fetten Ölen verdunsten sie rückstandslos. Außer als Duftstoff in der Kosmetik und zur Wohnraumaromatisierung in Duftlampen werden sie auch naturheilkundlich in der Aromatherapie verwendet. Übertreiben sollte man es in der Anwendung allerdings nicht – unverdünnt können sie die Haut reizen oder bei empfindlichen Personen Allergien auslösen.

Die Öl produzierenden Drüsen der Pflanzen befinden sich in Blüten, Blättern, Samen, Fruchtschalen, Wurzeln und sogar bei Bäumen in Harzen, Rinden und im Holz. Sieglinde hat zur Illustration noch eine Reihe von Baumölen mitgebracht, z.B. Zirbenkiefernöl und Zedernöl, das schon die alten Ägypter verwendeten. Wo aber hatten sie das her?

Die Kunst des Destillierens ist so alt wie die Welt. Akkadische Keilschrift-Tafeln geben Hinweise auf mindestens 3.200 Jahre alte Destillen in Mesopotamien. Ausgrabungen in Nord-Pakistan förderten primitive Ton-Konstruktionen zu Tage, die auch die Wildrosen-Fee Susanne Fischer-Rizzi im Kapitel 7 des anschaulichen Buchs Pflanzenkraft und Kräuterwunder von 2015 (Herausgeberin: die 2018 viel zu jung verstorbene Kräuterexpertin Bettina Louise Haase) erwähnt. Frau Fischer-Rizzi hat selbst Destilliergeräte gebaut, mit denen sie Pflanzenwasser (Hydrolate) gewinnt, einst in der Heilkunde sehr geschätzt, oft jedoch als Abfallprodukt der Destillation ätherischer Öle vernachlässigt. Ihre Publikation zur Aromatherapie, Himmlische Düfte, nennt viele Anwendungsbeispiele für ätherische Öle und Pflanzen, aus denen sie gewonnen werden können.

Destillation zur Arzneimittelherstellung gewann im 17. Jahrhundert an Bedeutung. Bis ins 18. Jahrhundert war dies ein extrem aufwändiges und schwieriges Verfahren: Im pharmazeutischen Labor wurde Pflanzenmaterial in großen Kesseln auf offenen Öfen befeuert und mittels wenig flexibel handhabbaren Glasgeräten (Alembik oder Retorte) destilliert. Das Auskondensieren durch Luftkühlung dauerte stundenlang; bei hohem Arbeitsaufwand gingen dabei wertvolle Inhaltsstoffe verloren. Dies änderte sich erst im 19. Jahrhundert mit der Erfindung der Wasserdampf-Destillation.

Anhand eines kleinen gläsernen Destillierapparats im Apothekarium (um 1960), den uns ein ehemaliger Mitarbeiter der Hohenbrunner Firma Schuchardt (heute Merck-Schuchardt) stiftete, erkläre ich nun das Prinzip einer einfachen Wasserdampf-Destillation im Labormaßstab so anschaulich wie es in grauer Theorie eben geht – mangels Heizplatte und Kühlwasser-Leitung kann ich es nicht vorführen (man kann es sich aber in einschlägigen Internet-Videos anschauen): Im Rundkolben wird Wasser erhitzt, der Dampf steigt durch die mit Pflanzenmaterial (z.B. Pfefferminze) gefüllte Destillationskolonne auf und nimmt dabei die Moleküle des ätherischen Öls mit, die erst bei wesentlich höheren Temperaturen als 100°C sieden würden. Im Liebig-Kühler unter Kühlwasser-Zufuhr kondensiert das Gemisch wieder aus, und das Destillat fließt in den Auffangkolben. Am Verbindungsstück zur Destillatüberleitung kann man noch eine Vakuumpumpe anschließen, um den Siedepunkt des Wassers auf höchstens 70°C zu senken: Diese Vorgehensweise schont das Pflanzenmaterial. Im Auffangkolben, der in eiskaltem Wasserbad stehen sollte, setzt sich das wasserunlösliche ätherische Öl oben auf dem destillierten Pflanzenwasser (Hydrolat) schwimmend ab und kann abgeschöpft werden.

Aufbau Destillation

In der Praxis würde man mit so einem einfachen kleinen Gerät allerdings nur wenige Tropfen ätherisches Öl gewinnen. Denn für nur 1 ml Öl würden je nach Ölgehalt in der Pflanze zwischen 150 g und 5000 g zerkleinertes Pflanzenmaterial benötigt (z.B. rd. 350 g Pfefferminze oder rd. 3,5 kg Zitronenmelisse). Labor-Destilliergeräte wie unser Exponat sind in der Apotheke hauptsächlich zur Herstellung destillierten Wassers – d.h. zur Abtrennung gelöster Verunreinigungen – verwendet worden. Dieses wurde nicht nur zur Arzneimittelherstellung, sondern auch als Lösungs- und Reinigungsmittel gebraucht.

Um nennenswerte Mengen ätherischer Öle herstellen zu können, wurden wesentlich aufwändigere Destillieranlagen wie dieses Beispiel mit großem Kupferkessel und -Destillierkolonne und großen grünen Kolben aus Alfeld an der Leine (um 1950) benötigt:

Destillieranlage
Destillationsanlage (um 1950) aus dem Apothekenmuseum Hofgeismar (eigenes Foto)

Heute benötigt eine Apotheke keine Destillierapparate mehr, denn ätherische Öle werden pharmazeutisch nur noch in Fertigarzneien verwendet, für die die Öle industriell hergestellt werden (50 % der Weltmarktproduktion stammt aus China).

In den 1950er Jahren, als der Apotheker noch selbst Salben mit ätherischen Ölen herstellte, schrieb das Deutsche Arzneibuch in seinerzeit gültiger 6. Auflage (DAB 6) – ähnlich wie für Separanda und Gifte – eine getrennte Aufbewahrung von allen übrigen Substanzen vor. Der Grund war die starke Geruchsentwicklung. Unser Rezeptierschrank (1950er Jahre, aus der Markt-Apotheke in Dülmen) weist unter dem Fach TAB.B (Tabula B / Tabelle B im DAB 6 für die Gifte) noch das dafür vorgesehene Fach OL AETHER auf.

Schrankfächer

Die Köpfe rauchen …. die Funktion so komplizierter Apparaturen versteht keiner, zumal wir das ja selber auch nicht genau verstehen. Wer es ganz genau wissen will, kommt in der „Arzney-Küche“ , einem Apothekenmuseum in Bönnigheim, auf seine Kosten, wo es spektakuläre Anlagen zu besichtigen gibt.

Wir haben gesehen, dass die Herstellung ätherischer Öle im „Hausgebrauch“ kaum möglich ist. Um nicht mit dieser ernüchternden Erkenntnis zu scheiden, möchten wir zum Abschluss gerne noch etwas Praktisches fabrizieren, das für jeden von uns für zu Hause leicht handhabbar ist – statt ätherisches Öl einen (fetten) Ölauszug. Diesen gewinnen wir nicht aus der Rose, sondern aus Rosmarin; das klingt so hübsch ähnlich, hat aber weder botanisch (ein Lippenblütler) noch etymologisch (ros marinus = Tau des Meeres) etwas mit der Rose zu tun. Vor 4 Wochen habe ich den heute abgussreifen Ansatz vorbereitet: Ein Schraubglas zu drei Vierteln mit getrockneten Rosmarinnadeln gefüllt, das Glas randvoll mit neutralem Sonnenblumen-Bio-Öl übergossen, den Ansatz verschlossen bei Zimmertemperatur durchziehen lassen und alle zwei Tage sanft geschüttelt, damit sich die Wirkstoffe besser lösen. Nun gieße ich das Öl durch einen Kaffeefilter im Trichter in eine vorbereitete braune Apothekenflasche ab. Tropfenweise langsam sickert es durch. Zugleich übergieße ich einen neuen zuvor vorbereiteten Rosmarin-Ansatz mit dem Bio-Öl, der in 4 Wochen fertig sein wird.

Zwei erfahrene Expertinnen, von denen ich noch etwas lernen kann,bleiben neben mir stehen. Ein weiteres Zerkleinern der Rosmarinnadeln würde noch mehr Inhaltsstoffe lösen. Feiner als mit dem Kaffeefilter geht der Abguss mit einem speziellen Haarsieb. Wir diskutieren: Besser mit Oliven- statt mit Sonnenblumenöl? Olivenöl hält nämlich doppelt so lange (zwei Jahre statt nur einem), hat aber einen stärkeren Eigengeruch und -geschmack. Warum keinen frischen Rosmarin? Ich habe mich nicht getraut aus Sorge vor Botulismus: Wenn man nicht 100 % sauber arbeitet, kann ein Bakterium namens Clostridium botulinum u.U. lebensgefährliche Giftstoffe produzieren. Zum Glück passiert dies nur sehr selten. Und die Bedenken sind hinfällig, so lange man das Öl nur zur äußeren Anwendung nutzt – ohnehin wäre der Ansatz für eine Verwendung als Salatöl viel zu konzentriert.

Aufbau Ölauszug

Von Sieglinde und gesundheitskundigen Teilnehmer*innen sammle ich Wissen ein: Rosmarinöl wird empfohlen zur Durchblutungsanregung der Haut, zur Einreibung bei Muskelverspannungen und Muskelkater, bei Rheuma oder Nervenschmerzen, zur Linderung von Kopfschmerzen ein paar Tropfen auf die Stirn. Rosmarinöl als Verreibung oder ein paar Tropfen ins Badewasser bei Hautreizungen, Schuppen, Akne und Ekzemen. Als Nicht-Pharmazeutin darf ich das alles nur mit großem Interesse entgegennehmen, ohne dass ich das selbst verifizieren oder empfehlen darf.

Es ist schon 20 Uhr geworden ….. noch lange hätten wir diskutieren könne, doch draußen wird es immer ungemütlicher, und wir möchten, dass alle Teilnehmer*innen bei den wetterwidrigen Bedingungen heil nach Hause kommen. Sieglinde hat noch viel einzupacken ….. und schon heute freuen wir uns auf das nächste Mal in unserem Apothekarium!

Für Interessierte, die diesmal keinen Platz mehr gefunden haben oder verhindert waren, bieten wir diese Veranstaltung am 5. Mai 2023 unter dem Motto „Himmlische Düfte und Öle zur Frühlingszeit“ noch einmal an.

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