Pflanzenlust und Gundermann

Seit dem 15. Juli bin ich Kräuterpädagogin mit Pflanzenlust und einem Zertifikat der Gundermannschule. Die 1-jährige Ausbildung hat sehr viel Spaß gemacht – wärmstens ist sie jedem zu empfehlen, der einen Bezug zu einheimischen Wildpflanzen mit dem Wunsch verbindet, anderen Menschen die Liebe zu diesen Gewächsen – heutzutage leider häufig nicht mehr bekannt, unterschätzt oder gar als „Unkraut“ störend empfunden und bekämpft – nahezubringen.

Als Kunsthistorikerin kam ich über einen Umweg zu Pflanzenlust und Gundermann, die „unser Wissen aufblühen“ lässt!

Denn viele unserer historischen Standgefäße – farbig gefasste oder holzsichtige Obst- und Linden-Holzdosen des 18. und 19.Jahrhunderts, emailbemalte Gläser und bemalte Porzellangefäße aus derselben Zeit, einfachere Spanholz-, Papp- und Blechdosen sowie braune Apothekenflaschen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – enthielten gemäß ihrer Etikettierung Pflanzenmaterial als Teedrogen – Wurzeln, Rinden, Kraut, Blätter, Blüten, Mischungen davon und Früchte – sowie daraus fabrizierte Arzneien (Tinkturen, Flüssig-Extrakte, Öle, Salben, Pasten, Sirup, Dicksäfte, Latwergen, Harze, Pulver) – alle Beschriftungen vorschriftsmäßig, doch für manche Besucher völlig unverständlich auf Latein (nur die französischen Porzellangefäße selbstbewusst – für Laien aber ebenso unverständlich – auf Französisch). Ja – was ist denn das alles? Manches lässt sich noch erraten – FOL MENTH, HERB ORIGANI, AZAFRAN …. schonmal gehört, hat man schon in der Küche verwendet. Aber wieso in der Apotheke? Anderes ist für Laien kaum zu knacken: Hb Hederae, OLIBANUM (da denkt man auch eher an Kirche als an Apotheke), Ext.Bellad.: Atr ……. ….. Vorsicht, gehört in den Giftschrank! (keine Angst, ist nicht mehr drin).

Seit unserem Eröffnungstag am 1. Juni 2022 wurden uns solche Fragen viel häufiger gestellt als die erwarteten zu Rippenformen gotischer Mörser, Renaissance-Blattfriesen, barocken Rocaillenformen der Holzdosen-Dekore, Techniken der Porzellanmalerei / Lithographie und deren akribischen Unterscheidungskriterien anhand nur mit der Lupe erkennbarer Rasterpunkte, Techniken der Glasmalerei (Email / kalt), Waagen und Gewichtssätzen, Meistermarken …… alles, was in mein Metier als Kunsthistorikerin fällt, kann man in unserem Katalog nachlesen und erklären mein Mann und ich weiterhin jederzeit gerne.

Tja …. da stand ich nun, ich armer Tor ….. wie der Ochs vorm Berg. Weder Ärztin noch Apothekerin, betrat ich mit dieser Ethnobotanik unerwartetes Neuland. Ein Besucher brachte es nicht gerade sonderlich sensibel, aber ehrlich auf den Punkt: „Füllen Sie doch Ihre tote Materie wieder mit Leben ……!“ Zeigte auf eine 1950er-Jahre-Spanholzdose, Original aus der Hubertus-Apotheke – ja bitte, was war denn da mal drin? Radix taraxacum cum herba! Was soll das heißen? Keine Ahnung. Und was ist heute da drin? Nichts.

Erst fuchste mich das sehr …. doch dann war der Ehrgeiz gepackt: Verschüttetes Basis-Schulwissen aus einem veralteten Biologieunterricht in den 1970er Jahren lugte vorsichtig hervor …. schnell wurde klar, Schweigen im Walde zu Wildkräutern, auf die jeder Apotheker einst angewiesen war, das geht gar nicht als Inhaberin eines Apothekenmuseums. In der historischen Apotheke, in der bevorzugt aus dem Reich der Pflanzen – dem wichtigsten der „Drei Reiche der Natur“ – Medizin fabriziert wurde, war gute Kenntnis unabdingbar. Bereits in der Antike machte man aus Pflanzen Medizin, die Kräuterbücher des Mittelalters und der frühen Neuzeit knüpften an Dioskurides und Plinius den Älteren an, parallel ging die Klostermedizin nach Hildegard von Bingen ihre eigenen Wege. Allen volksmedizinischen Indikationen ist gemeinsam, dass man von den tatsächlichen Inhaltsstoffen der Pflanzen, die für ihre Heilwirkung verantwortlich sind, biologisch-chemisch nichts wissen konnte und die Empfehlungen sich mehr oder weniger nach einer trial and error-Methode von Generation zu Generation überlieferten und veränderten. Die Isolierung von Wirkstoffen gelang erst im 19. Jahrhundert, Startschuss für die moderne Phytotherapie, die verlangt, dass die Wirksamkeit einer Pflanze wissenschaftlich nachgewiesen sein muss. Seit den 1980er Jahren fiel durch mehrere nationale und internationale Kontroll-Komitees, die in den Apotheken verarbeitete Pflanzen flächendeckend untersuchten und monographierten, manches Kraut wegen problematischer Inhaltsstoffe, von denen man zuvor nichts wusste, oder nicht ausreichend bewiesener Wirksamkeit durch den Rost und musste aus den Arzneibüchern verschwinden. Mancher Rasenschnitt fiel dabei vielleicht zu heftig aus ….. was keine Anerkennung zumindest als traditionelle, auf langjähriger Erfahrung beruhende Arzneipflanze (traditional use) durch das europaweit heute ausschlaggebende HMPC fand, gibt es aber häufig noch (oder wieder) in Naturkostläden und Herbatheken als Nahrungsergänzungsmittel und/oder Kosmetikum, z.T. auch durchaus (noch oder wieder) in Apotheken als nicht-offizinelle Produkte. Es steht jedem frei, hier zu experimentieren ….. und doch, sicherheitshalber fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker …….. Gesundheitsempfehlungen darf ich auch als Kräuterpädagogin nach wie vor nicht geben.

Ein autarker Landapotheker hatte einst seinen eigenen Apothekengarten, für dessen Anpflanzung und Pflege er verantwortlich war. Wer mitten in der Stadt keinen hatte, war auf die Kräuterweiblein angewiesen, die ihm Selbstgesammeltes brachten und günstig verkauften. Wer keine kannte, musste eigenhändig mit der Botanisiertrommel in die Wiesen und Wälder ziehen bzw. zu diesem Zwecke bevorzugt seinen Gehilfen losschicken. In allen 3 Fällen galt: Ein Irrtum konnte tödlich sein. Denn überall in der Natur lauern gefährliche Doppelgänger der essbaren Wildkräuter – Bärlauch versus Maiglöckchen oder Herbstzeitlose, Wiesenkerbel versus Gefleckter Schierling ……. da muss man zumindest wissen, was in den Giftschrank gehört bzw. was auch für den Apotheker zu überhaupt nichts zu gebrauchen war. Und dazu heißt es: Genau hingucken …. auf Blätter, Stiel, Mittelrippe, Geruch …. aber wie und wo lernt man so etwas?

Botanisiertrommel
Typische Botanisiertrommel des 19. Jh. (hier französisch, 1895)

Die „Rettung“ kam Mitte Juli 2022 mit einer Besucherin aus dem Frankenland. Am Prüfungstag der Gundermannschule für den Kurs exakt vor einem Jahr in der nahen EmiLe-Montessori-Schule, wo für den Standort München die Präsenztage stattfinden und Teile der Prüfung abgenommen werden, erschien sie auf einen Sprung im Museum – rein zufällig, weil es am Weg lag. So erfuhr ich von dieser Ausbildung.

Und nun steh ich selbst an diesem Punkt. Seit einem halben Jahr schon veranstaltet unser Museum Events zu Kräutern in unserem Apothekengarten – gerne in meinen früheren Blogs nachlesbar. Im Herbst 2022 hatte ich bereits in einer Besucherin, Sieglinde Schuster-Hiebl, eine versierte Kooperationspartnerin gefunden, ausgebildete PTA und Gesundheitsberaterin, fit als Naturpädagogin im Umgang mit Kindern und bestens in Neubiberg verwurzelt. Sie ist und bleibt die Seele für die gesundheitliche Seite unserer Events …. ab sofort gemischt mit zertifizierter Kenntnis der Ethnobotanik und ganz viel Praxis in Kombination mit Pharma-Historie und Kunstgeschichte….. so erweitern wir nun unser Angebot und runden es ab. Beizeiten meldet sich unser Museum dazu mit weiteren Angeboten für Kräuterführungen und Workshops, gerne auch mit neuen Themen und weiteren Kooperationspartnerinnen, die ich in der Ausbildung kennen lernen durfte.

Ein großer Dank an dieser Stelle noch einmal an „Pflanzenlust und Gundermann“. Details der Ausbildung und Prüfung werden hier natürlich nicht verraten ….. es würde mich freuen, mit einigen Mitstreiterinnen unserer Gruppe in Kontakt zu bleiben und auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer künftiger Kurse, die im Rahmen der Präsenztage und / oder der Prüfung an unserem Apothekarium (rd. 300 m von der Montessori-Schule) vorbeikommen, en passant zu einem Besuch zu motivieren. Dies gilt selbstverständlich auch für die Lehrkräfte Karin Greiner und Almuth Baron – mit dem allerbesten Dank für die umfangreiche und tiefgreifende Ausbildung mit viel Wissen und ebensoviel Praxis, mit viel Liebe und Engagement für die lebendige Natur der einheimischen Wildkräuter, Pflanzen, Sträucher und Bäume vermittelt.

Ach ja, das Rätsel um Radix Taraxaci cum Herba – Initialzündung für die Ausbildung – wollen wir doch noch lösen (ganz wichtige Pflanze des Kurses):

Löwenzahn mit Behältnis
Löwenzahnwurzel mit Kraut (ist selbstgesammelt heute wieder drin)

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