Waldapotheke – Früchte und Wurzeln im Apothekengarten
Der goldene Herbst hat Einzug gehalten in Neubiberg. Am 26. September – dem Gedenktag der Zwillingsbrüder Kosmas und Damian, Schutzpatrone der Ärzte und Apotheker – öffnen meine bewährte Kooperationspartnerin, die PTA und Gesundheitsberaterin Sieglinde Schuster-Hiebl, und ich wieder mal unseren Apothekengarten auf dem kleinen Areal, das vom ehemaligen Unterbiberger Gemeindewald naturbelassen übrig geblieben ist. Dort verbergen sich herbstliche Kostbarkeiten für die Hausapotheke.
Vorab lernen wir die beiden Heiligen kennen, deren Poster im Schaufenster wir für diesen Zweck in die Offizin geholt haben. Mit 17 Personen sind wir eine grenzwertig große Gruppe für den kleinen Museumsraum, doch für die 15-minütige Einführung hier drinnen geht es: Kosmas, der Geschmückte, und Damian, der Mächtige, wirkten im 3. nachchristlichen Jahrhundert in der römischen Provinz Kilikien (heute südliche Türkei) als Heilkundige. Eine festgeschriebene Trennung zwischen Ärzten und Apothekern hat es in der Antike noch nicht gegeben – dennoch war die „Arbeitsteilung“ der Brüder insoweit klar, als Kosmas eher der Theoretiker war, der Diagnosen stellte, und Damian eher der Praktiker, der Arznei mixte. Von sich reden machte das so genannte „Beinwunder“ – nämlich der Ersatz des unrettbar entzündeten Beines eines Weißen durch das gesunde Bein eines zeitgleich verstorbenen Schwarzen. Das muss man nicht glauben …. entscheidend ist, dass die beiden auch arme Bürger kostenlos behandelten, die sich keine reguläre Behandlung leisten konnten – nebenher missionierten sie dabei auch den christlichen Glauben. Das rief in der Provinz allerlei Neider auf den Plan, insbesondere umherziehende Quacksalber, denen die beiden durch ihr mildtätiges Tun das Geschäft kaputt machten. Angeschwärzt bei der Obrigkeit wurden sie unter Kaiser Diokletian im Jahr 305 enthauptet.
Möglicherweise befinden sich die Kopf-Reliquien der Heiligen heute in der Jesuitenkirche St. Michael in München, und zwar in einem kunstvollen, um 1420 gefertigten spätgotischen Silberschrein aus Bremen, den Kurfürst Maximilian I. 1649 nach Bayern überführen ließ. Aber auch der Domschatz von Essen, Kloster Prüm, Venedig, Bitonto, Madrid und andere heilige Stätten beanspruchen „echte“ Reliquien der beiden Brüder für sich.
Kosmas ist – wie auf unserem Poster – häufig mit Äskulapstab dargestellt, gelegentlich aber auch mit Uringlas oder anderen medizinischen Gerätschaften, Damian hingegen einheitlicher mit typischem Salben-Deckelgefäß, das sich von der Form her mit einiger Phantasie durchaus in den französischen Porzellantöpfen des 19. Jahrhunderts, die die Original-Schrankwand der ehemaligen Hubertus-Apotheke Valentin Mayring in unserem Museum schmücken, widerspiegelt.
Genug der Theorie! Bevor wir hinausgehen in den Garten, lässt Sieglinde noch an einer spannenden Substanz riechen, die selbst die Expertinnen im Publikum nicht erkennen: Das durchblutungsfördernde Damianakraut, eine Teedroge von einem gelb blühenden Strauch, dem ein gewisser aphrodisierender Effekt nachgesagt wird, was bereits die Maya gewusst haben wollen. Was hat das mit unserem Thema zu tun? Das Safranmalvengewächs (Turnera diffusa) ist schließlich nur in Amerika natürlich verbreitet. Doch spanische Missionare haben es im 17. Jahrhundert nach Europa mitgebracht – und tatsächlich nach dem heiligen Damian, dem Schutzpatron der Apotheker, benannt.
Nun aber hinaus in den Garten! Dafür dürfen die Teilnehmerinnen erst mal durch ein kleines, halb zugewachsenes Seitentor am Museum kriechen (ein spannendes „Zaubertor“, auf das auch Schulklassen und Kindergruppen immer wieder abfahren) und unser „Mittelmeerbeet“ passieren. Das hat jetzt noch nicht so viel mit der „Waldapotheke“ zu tun, dennoch machen wir auf drei Pflanzen aufmerksam, die zurzeit gerade schöne Früchte tragen:
- Ein kleines Olivenbäumchen (Olea europaea), ein Ölbaumgewächs mit noch grünen einsamigen Steinfrüchten. Natives und raffiniertes Olivenöl ist jedem in der Küche bekannt – zudem dient es als Auszugsöl für viele Ölzubereitungen und Ölharze in der Apotheke; die Qualität ist im Europäischen Arzneibuch festgeschrieben (d.h. „offizinell„; davon abzugrenzen sind traditionelle Heilpflanzen, die aufgrund langjähriger Erfahrung in der Volksmedizin verwendet wurden, als man von ihren tatsächlichen Inhaltsstoffen noch gar nichts wissen konnte, aber in kein heute gültiges Arzneibuch aufgenommen bzw. aus einem solchen wieder gestrichen wurden). Offizinell am Olivenbaum sind außer dem Öl die Blätter – als Tee, Dragees und Trockenextrakte erhältlich. Volksheilkundlich werden sie gegen Bluthochdruck,Gicht, Arteriosklerose und Rheumatismus verwendet.
- Ein kleines Feigenbäumchen mit ebenfalls noch unreifen grünen Früchten. Im Arzneibuch fehlt dieses Maulbeergewächs, doch als Lebensmittel (roh gegessen, als Sirup, getrocknet, als Marmelade und Chutney) ist es mit allerlei gesunden Inhaltsstoffen (Vitamin B7, Kalium, Kalzium) versehen und im Hausgebrauch gängig gegen Darmträgheit und leichte Verstopfung. Sieglinde hat dazu ihre persönlichen Tipps.
- Ein kleines Bitterorangenbäumchen (Citrus auriantum) mit ebenfalls noch unreifen grünen Früchten. Die bittere Schwester der süßen Orange ist älter als letztere; bereits im 11. Jahrhundert kam sie über die Seidenstraße von China nach Italien. Die vor allem in Großbritannien gängige Bitterorangenmarmelade ist allen Teilnehmerinnen bekannt, auch wenn die Entstehungsgeschichte dazu manchem neu sein mag: 1797 strandete ein mit Bitterorangen beladenes spanisches Schiff in Dundee (Schottland). Die Früchte drohten zu verderben. Der Kapitän, der die Ladung retten wollte, verkaufte sie an James Keiller, dessen Mutter Janet die roh ungenießbaren Früchte zerkleinert mit Schale und mit viel Zucker verkochte. Die erste britische Marmeladenmarke James Keiller & Son existiert immer noch, auch wenn die Marmelade wahrscheinlich anderorts schon vorher erfunden war. Weniger bekannt ist Bitterorange als Arznei: Offizinell sind sowohl die Schale mit ihren bitteren Flavonoidglykosiden und einem ätherischen Öl als auch die getrockneten unreifen Früchte im Ganzen, verarbeitet als Tonikum oder Tinktur gegen Appetitlosigkeit und Verdauungsbeschwerden. Für letztere besitzt unser Museum eine Pappdose der 1950er Jahre in laminierter Holzmaserung, mit Fußreif und Stülpdeckel mit schwarzem Pilzknauf, passend etikettiert „Fructus Aurant. immat„. In unserer Drogen-Lehrsammlung der Firma CAELO (133 Substanzen, gesammelt und beschrieben Ende 1950er Jahre) befinden sich beide Drogen in kleinen Schachteln, die ich zur allgemeinen Begutachtung herumreiche.
Hinter dem sonnigen „Mittelmeerbeet“ erstreckt sich unsere Terrasse, wo sich nun alle rund um unseren Präsentationstisch versammeln dürfen. Unser Schwerpunktthema zur „Waldapotheke“ bei uns im Garten sind Rosengewächse (Rosaceae). Nur ein Laie denkt, Rosengewächse seien ausschließlich Rosen. Nein – in dieser Familie werden botanisch über 3000 Arten mit genetisch übereinstimmenden Merkmalen u.a. in der Blütenmorphologie und der Fruchtbildung zusammengefasst. So erklärt es sich, dass zur Familie neben der namensgebenden Gattung Rosa auch viele bekannte Obstarten wie Apfel, Birne, Erdbeere, Brombeere, Himbeere, das Steinobst mit Kirsche, Zwetschge, Pflaume, Aprikose, Mandel u.a., aber auch Kräuter wie Mädesüß, Nelkenwurz und der Große und Kleine Wiesenknopf gehören.
Exemplarisch konzentrieren wir uns auf Schlehe, Weißdorn und Eberesche (wir haben auch Himbeer- und Brombeersträucher aufzuweisen, deren Sammelsteinfrüchte – Achtung, botanisch sind das KEINE Beeren! – bereits abgeerntet und nur noch getrocknet bzw. aufgetaut im Setzkasten präsentiert sind).
- Die dornige Schlehe ist botanisch mit der Pflaume verwandt (sehr aussagekräftig insoweit der lateinische Name Prunus spinosa); offizinell sind die Blüten, die schon in der Volksmedizin als Teedroge gegen Erkältungen, Verdauungsbeschwerden, Blasen- und Nierenleiden und zur Blutreinigung verwendet wurden. Die gerbstoffreichen Steinfrüchte dagegen haben kein Arzneibuch gesehen. Dennoch kursieren Rezepturen für einen wässrigen Auszug bei Entzündungen im Mund- und Rachenraum. Bekannter ist die Verarbeitung in der Küche zu Marmelade, Gelee, Saft, Sirup, Likör, Geist. Man muss den ersten Frost abwarten oder die Schlehen rechtzeitig einfrosten, um die Gerbstoffe zu neutralisieren und die Früchte somit bekömmlich zu machen.
- Der Weißdorn (Crataegus) ist mit seinen, je nach Einteilung, 150 bis 2000 Arten botanisch sperrig; Pharmazeuten müssen nur wissen, dass sowohl vom Eingriffligen (Crataegus monogyna ) als auch vom Zweigriffligen (Crataegus laevigata) sowie ferner auch von Bastarden derselben sowohl Blüten, Blätter als auch Früchte offizinell sind. Ich verzichte darauf, Verwirrung mit der Information zu stiften, dass auch der Eingrifflige durchaus manchmal zwei Griffel auf der Blüte haben kann und man beim Zweigriffligen manchmal auch drei oder gar nur einen Griffel zählt; leichter zu unterscheiden, gerade wenn die Blüte vorbei ist, ist der Strauch anhand seiner Blätter. In unserem Garten wächst gemäß Bestimmungsbuch der Eingrifflige Weißdorn – Expert*innen nageln mich aber bitte nicht fest! Weißdornfrüchte – botanisch sind es keine Beeren, sondern Apfelfrüchte – enthalten oligomere Procyanidine und Flavonoide; medizinisch anerkannt ist ihre Wirkung bei nervösen Herzbeschwerden und zur Unterstützung der Herz- und Kreislauffunktion. Die Arznei aus Fructus Crataegi ist pulverisiert in Tabletten, als Trockenextrakt in Dragees und Kapseln sowie als alkoholischer Auszug in Tropfen erhältlich; einen Tee bereitet man hingegen aus den Blättern und Blüten. Nicht offizinell, aber wohlschmeckend: Sieglindes selbst fabrizierter Weißdornlikör.
- Dritte im Bunde des Rosacea-Straußes ist die Eberesche, auch Vogelbeere genannt (Sorbus aucuparia). Dieses Rosengewächs haben die Germanen dem Donnergott Thor geweiht. Denn in der Edda rettete der Vogelbeerbaum Thor das Leben, als dieser bei einer Jagd in den Fluss Wimur gefallen war und sich an einem Vogelbeerast aus den tosenden Fluten hinausziehen konnte. Aus dieser Tradition mag der Aberglaube stammen, die Eberesche schütze gegen Blitzschlag. Hartnäckig hält sich die Vorstellung, die kleinen Apfelfrüchte – botanisch keine Beeren! – seien giftig; dies gilt aber nur für die rohen Früchte. Durch Kochen wandelt sich die unbekömmliche Parasorbinsäure in harmlose Sorbinsäure. Die Früchte enthalten viel Vitamin C, Fruchtsäuren und Gerbstoffe, Pektine und Carotinoide. Eingekochtes Ebereschenmus nennen ältere Pharmazielexika noch regulierend gegen Durchfall, getrocknete Früchte mit der Drogenbezeichnung Fructus sorbi aucupariae sind in Herbatheken erhältlich, haben aber kein Arzneibuch gesehen. In der Küche lassen sich Ebereschen zu Marmelade, Konfitüre, Kompott und Chutneys verarbeiten, wegen der Bitterstoffe jedoch vorzugsweise nicht pur, sondern gemischt mit Pflaumen, Äpfeln, Birnen, Ananas, Karotten oder Kürbis. Übrigens ist die Eberesche auch Bestandteil des aus dem Fichtelgebirge stammenden Likörs Sechsämtertropfen. Dieser wurde zwar 1895 von einem Apotheker erfunden (Gottlieb Vetter), wird dadurch aber keineswegs zur Arznei.
Die klassische Frucht der Rose – die Hagebutte – soll freilich auch nicht zu kurz kommen. Nicht jedem ist bekannt, in wie zahlreichen Variationen sie je nach Rosenart ausgestaltet ist. Botanisch handelt es sich um eine Sammel-Nussfrucht; die einzelnen Nüsschen (die so genannten Hagebuttenkerne) sind von einem mehr oder weniger fleischig veränderten Achsenbecher (Hypantheum) umgeben, der insoweit eine Scheinfrucht darstellt (so genannte Hagebuttenschalen). An einer aufgeschnittenen Frucht kann ich das gut erläutern.
In unserem Strauß auf dem Präsentationstisch sind drei Beispiele zu sehen – die wohlgeformte tiefrote Hagebutte der Hundsrose (Rosa canina), die winzig-kleine Frucht der Büschelrose (Rosa multifolia) und die fleischig-orangen Exemplare eines nicht genau identifizierbaren Ziergewächses im Garten, lt. Bestimmungs-App, die aber nicht immer zuverlässig ist, möglicherweise einer Hybride der im Mittelmeerraum beheimateten Immergrünen Rose (Rosa sempervirens). Pharmazeutisch verwertbar sind nur die Hagebutten der Hundsrose sowie diejenigen der in unserem Garten nicht wachsenden Essigrose (Rosa gallica).
Offizinell sind sowohl die schieren getrockneten Hagebuttenschalen,botanisch also die von den Nüsschen befreiten Scheinfrüchte (gut nachvollziehbar daher die lateinische Bezeichnung, Rosae pseudofructus), als auch die getrockneten Früchte im Ganzen (Rosae pseudofructus cum fructibus). Die medizinische Anwendung von Hagebuttenschalen als Teeaufguss ist anerkannt unterstützend bei der Behandlung von Erkältungen und Grippe, ferner ist Hagebuttenpulver aus den Hagebutten im Ganzen (nicht offizinell, daher als Nahrungsergänzungsmittel) im Handel zur Linderung von Gelenkarthrose-bedingten Schmerzen und Steifheit. Sieglinde hat einige Anschauungsprodukte im Sortiment.
Auf dem Präsentationstisch stehen noch weitere Früchte aus unserem Garten und ihre Anschauungsprodukte, die keine Rosengewächse sind, nämlich das Heidekrautgewächs Heidelbeere in ihrer Wildform aus dem Wald sowie ihrer pharmazeutisch unbedeutenden Kulturform aus einer amerikanisch-kanadischen Variante, die botanisch verwandte Preiselbeere sowie eine Fruchtdolde des Schwarzen Holunder, eines Moschuskrautgewächses, doch alles können wir nicht mehr besprechen, denn die Sonne steht um 17.30 Uhr schon tief – bevor sie untergeht, möchten wir doch noch einen Rundgang durch unseren „waldähnlichen“ Garten anbieten. Einige mindestens 150 Jahre alte Baumriesen des ehemaligen Neubiberger Gemeindewaldes – ihre Nussfrüchte sind im Setzkasten präsentiert, da im hohen Geäst sonst zum Teil schwer erkennbar – erregen hier unsere Aufmerksamkeit:
- Zwei große Winterlinden wecken bei jedem andere Assoziationen hinsichtlich ihrer reichen Kulturgeschichte: Bei den Germanen und Slawen galt das Malvengewächs als heiliger Baum; der Göttin Freya war sie geweiht. Jedes Landkind ist mit der „Dorflinde“ aufgewachsen – kommunikativer Mittelpunkt der Gemeinschaft, der Partnersuche beim Tanz und des hohen Gerichts (Thing) – Sieglinde weiß, dass die Urteile hier oft milder ausfielen als unter der Eiche. Nach Beendigung von Kriegen pflanzte man Friedenslinden. Die deutsche Linde ist Thema in der Literatur (Walther von der Vogelweide, Johann Wolfgang Goethe, Annette von Droste-Hülshoff, Heinrich Heine), in der Musik (Am Brunnen vor dem Tore von Franz Schubert) und Kunst (Tilman Riemenschneider bevorzugte Lindenholz für seine Skulpturen). Sehr hübsch ist auch die Geschichte von der Prinzessin Tilia, die keinen reichen Freier heiraten wollte, aber den armen Bauernsohn erhört, der die ganze Nacht für die Angebetete alle Blätter der Dorflinde zu Herzen geschnitten hat.
Die Linde ist namensgebend für viele Cafés und Gasthäuser, Orte und Ortsteile, Straßen und Alleen und auch für ca. 300 Apotheken in Deutschland. Sieglinde erklärt die Unterschiede zur Sommerlinde und die heilkundlichen Anwendungen des Arznei-Tees aus zerkleinerten Lindenblüten bei Erkältungskrankheiten und zur Linderung leichter Stresssymptome. Lindenblüten enthalten Flavonoide, Schleimstoffe (Arabinogalactane), Gerbstoffe und Phenolcarbonsäuren sowie ätherische Öle. Mit den bräunlich-kugeligen Nussfrüchten an einem Hochblatt als Tragsegel ist hingegen pharmazeutisch nichts anzufangen, doch enthalten sie ein fettes Öl, und Insider schwören auf in Balsamico eingelegte Lindenfrüchte als Kapern-Ersatz.
Aus Lindenholz – einem besonders weichen, gut zu bearbeitenden Holz – sind übrigens auch viele Apothekendosen des 18. und 19. Jahrhunderts in unserem Museum gedrechselt.
- Unsere mindestens 150 Jahre alten Stieleichen (Quercus robur) hatten wir bei bei unserer Sommerkräuterführung am 30. Juni dieses Jahres bereits ausführlich besprochen – wer diese nicht mitgemacht hat, kann im Blog dazu etwas nachlesen. Jetzt widmen wir uns gezielt der gerbstoffreichen Eichel, einer roh gänzlich ungenießbaren Nussfrucht. Eicheln sind nicht nur ein beliebtes Tierfutter. In Notzeiten verwendete man sie auch als Kaffeeersatz und Eichelmehl zum Brotbacken. Bei Biobäcker*innen (und einigen versierten Kräuterpädagogen-Kolleginnen der Gundermannschule) liegt Eichel-Powergebäck mit seinem hohen Protein- und Vitamin-B-Anteil zu Recht wieder im Trend! Um die Gerbstoffe zu neutralisieren, müssen sie allerdings einer aufwändigen Prozedur unterzogen werden: In der Pfanne werden sie geröstet, geschält und mehrere Tage gewässert, wobei das Wasser täglich gewechselt werden muss, bis es sich nicht mehr braun färbt. Dann werden sie entweder püriert oder getrocknet und gemahlen. Sieglinde reicht Eichelkaffee herum.
Offizinell an der Eiche ist übrigens nur die getrocknete Rinde jüngerer Stämme und Zweige (cortex quercus), ebenfalls in unserer CAELO-Drogensammlung enthalten, zur äußeren Anwendung als Beigabe insbesondere zu Sitzbädern bei Hautentzündungen. - Im mittleren Gartengrund wächst ein nicht ganz so alter Walnussbaum (Juglans regia). Heilkundlich verwertet werden die gerbstoffreichen Blätter, die äußerlich als Abkochung/Auflage oder Tinktur oder innerlich pulverisiert in Dragees und Tabletten bei leichten oberflächlichen Hautentzündungen und übermäßiger Schweißabsonderung anerkannt sind. Sieglinde reicht die Teedroge herum; getrocknete Walnussblätter gibt es zudem ebenfalls in unserer CAELO-Drogensammlung. Die Nüsse selbst sind nicht offizinell, enthalten aber viel Vitamin E, Fettsäuren, Kalium und Spurenelemente, so dass sie frisch vom Baum gegessen, im Honig, Kuchen und Gebäck, Eis oder Likör durchaus den Speiseplan auch gesundheitlich bereichern. Für botanisch Versierte ist folgende „Nuss“ zu knacken: Handelt es sich wirklich um eine Nuss oder eine Steinfrucht? Beides ist grundsätzlich denkbar und wurde unter Botanikern kontrovers diskutiert, abhängig davon, ob man die grüne Umhüllung als äußere Fruchtwand (Perikarp) ansieht – dann Steinfrucht – oder aber die harte braune Schale (dann Nuss). Nach neueren Erkenntnisse präferieren Botaniker die Annahme einer echten Nuss; die grüne Umhüllung wäre dann eine aus den Blattorganen gebildete Scheinfrucht.
Unsere Schlehensträucher tragen dieses Jahr leider nicht, weil sie zu früh im Jahr geblüht haben und noch kein Bienenflug war (die Schlehen am Präsentationstisch stammen aus dem Unterhachinger Landschaftspark, wo das Problem im Prinzip dasselbe war, eine hilfreiche Kollegin aus der Gundermann-Ausbildung allerdings unweit der Autobahn erfreulicherweise zwei Ausnahmen entdeckt hat). Die Ausbeute der Eberesche war auch eher mager zu nennen. Im hinteren Garten können wir zum Abschluss indes noch ein wirklich prachtvolles dreistufiges Wald-Ensemble präsentieren – Stieleiche hinter Weißdorn; im Vordergrund hübsch, aber pharmazeutisch und kulinarisch zu nichts zu gebrauchen die giftigen roten Apfelfrüchtchen der Zwergmispel (Cotoneaster).
Mehr können wir leider in 2 Stunden nicht zeigen – der Sonnenuntergang ist nahe, den älteren Teilnehmerinnen fällt das Stehen langsam schwer. Zu guter Letzt gibt es daher noch auf unserer Terrasse – zumindest teilweise im Sitzen – eine kleine Stärkung: Baguette mit selbst fabrizierter Ebereschenmarmelade, gemischt mit milder Bio-Pflaume. Bei einem winzigen Schlückchen Likör – Brombeere und Schlehe werden bevorzugt gewählt, Heidelbeere nicht, da nicht selbstgemacht! – wird noch ein Blick auf unseren Wurzel-Tisch geworfen:
Die tiefe Pfahlwurzel des allseits bekannten Löwenzahns (Taraxacum), in einer Original 1950er-Jahre-Spanholzdose aus der Hubertus-Apotheke geschnitten und gemischt mit Kraut (Radix taraxaci cum herba) – ist offizinell und medizinisch anerkannt zur Wiederherstellung einer gestörten Leber- und Gallenfunktion, bei Verdauungsbeschwerden, Völlegefühl und Appetitlosigkeit sowie zur Entwässerung.
Das 2-7 cm lange Rhizom der gelb blühenden Nelkenwurz (Geum urbanum), die in weiten Teppichen unter einer unserer Winterlinden wächst – kennt nur das Homöopathische Arzneibuch zur Behandlung von Harnblasenentzündung; Nelkenwurz-Tinktur wird in der Volksmedizin auch aufgrund ihrer Gerbstoffe, ätherischen Öle und Flavonoide erfolgreich innerlich gegen Durchfall und äußerlich gegen Entzündungen im Mund- und Rachenraum eingesetzt. Einst hat man die Wurzel auch in Wein eingelegt (von einem Tee wird wegen des bitteren Geschmacks abgeraten) oder sie als Ersatz für die echte, sehr teure Gewürznelke verwendet.
Die getrocknete Wurzel der Engelwurz (Angelica archangelica) enthält ein ätherisches Öl und die nicht ganz unproblematischen – da phototoxisch wirkenden – Furocumarine. Sie ist medizinisch anerkannt gegen Verdauungsbeschwerden und leichte Bauchkrämpfe, Verstopfung, Völlegefühl und Appetitlosigkeit, erhältlich als Teedroge, Fluidextrakt und Tinktur. Da nur ein einziges Exemplar in unserem Apothekenbeet wächst, habe ich auf eine Ausgrabung verzichtet und präsentiere stattdessen die 1950er-Jahre-Droge aus unserer CAELO-Sammlung. Unser Museum besitzt auch ein zylindrisches französisches Porzellangefäß des Pariser Hauses ACLOQUE (nach Marke zu datieren 1804-1814), das gemäß ihrer prächtigen Kartusche mit Rosengirlande, Palme und goldener Schlange „Cons. Angelicae„, d.h. getrocknete Engelwurz, enthielt; zurzeit enthält das Gefäß allerdings geschnittene Blätter aus einer Herbathek, die nicht offizinell sind).
Auch zur Baldrianwurzel (Radix valerianae), die ätherische Öle, Iridoide, Lignane und Kaffeesäurederivate enthält und zur Beruhigung und Schlafförderung als Teedroge, pulverisiert oder als Trockenextrakt in Tabletten und Dragees, Tinktur und Fluidextrakt in Tropfen sowie Frischpflanzenpresssaft indiziert ist, haben wir eine Droge aus unserer CAELO-Sammlung anzubieten. Letztes Jahr habe ich die getrocknete Baldrianwurzel von unseren Exemplaren am Teich zudem mühevoll selbst geschnitten und kann diese Probe in einem kleinen Gläschen vorführen; dieses Jahr wollte ich die Prozedur wiederholen, zog allerdings leider nur rudimentäre, zum Schnitt unbrauchbare Mini-Würzelchen heraus.
Prosit allseits – sehen wir uns bald wieder? Leider mussten wir Latecomers, die sich nach dem Anmeldeschluss für unsere Veranstaltung noch interessiert haben, aus Kapazitätsgründen absagen, um die Gruppe nicht zu überfrachten; wir hoffen, diesen Interessentinnen im Ausgleich unsere nächsten Veranstaltungen schmackhaft machen zu können, die wir zeitnah ankündigen werden. Die Früchte, Beeren und Wurzeln können wir dieses Jahr leider nicht mehr wiederholen, da die fortgeschrittene Jahreszeit uns insoweit Grenzen setzt.