Hildegard von Bingen

Wir haben Glück am 14. Mai, dem Eisheiligen Bonifatiustag – von Eis keine Spur, es ist hervorragendes sonnig-warmes Wetter, und unser heutiges Event im Apothekarium mit meiner Kooperationspartnerin, der PTA, Naturpädagogin und Gesundheitsberaterin Sieglinde Schuster-Hiebl, ist mit 20 Teilnehmerinnen bis an die Kapazitätsgrenze gefüllt.

Es soll heute nicht um Bonifatius, sondern eine andere Heilige gehen – die erste große Universalgelehrte der Naturheilkunde, Benediktiner-Äbtissin Hildegard von Bingen (1098-1179) – gerade mal 50 km südlich meiner alten Heimat Koblenz am Rhein war sie zu Hause. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts schrieb sie auf dem Rupertsberg ihr Lebenswerk, 9 Bücher Physica, ein Lexikon über alle bekannten Pflanzen, Tiere und Mineralien ihrer Zeit, und 6 Bücher Causae et Curae – ein Kompendium über die Ursachen von Krankheiten und dazu passende Methoden des Vorbeugens und des Heilens.

Hildegard kam ursprünglich gar nicht aus Bingen. Ihre Anerkennung musste sich die 10. Tochter eines Adligen bei Idar-Oberstein, die schon mit 8 Jahren in religiöse Erziehung gegeben wurde und mit 14 in eine Frauenklause unter der Ägide des Benediktiner-Männerklosters Disibodenberg eintrat, erst mühsam erkämpfen. Ihr halbes Leben verbrachte sie in diesem abgelegenen Gemäuer an der Mündung des Glan in die Nahe; Hildegard-Fans kraxeln heute gerne in den schwer zugänglichen Ruinen herum. Als Hildegard nach dem Tode ihrer Lehrmeisterin und Magistra Jutta von Sponheim 1136 selbst zur Magistra gewählt wurde, kam es zu wiederholten Auseinandersetzungen mit dem Abt Kuno, weil sie das Askese-Prinzip zurückfuhr, die langen Gebets- und Gottesdienstzeiten verkürzte, stattdessen die Speisepläne erweiterte und erlaubte, zu Festivitäten die Haare offen und schöne Gewänder zu tragen. Als der Abt stur blieb, sagte sie dem Disibodenberg Ade und machte sich um 1150 mit ihren rd. 20 Gefährtinnen auf den Weg, um hoch auf einem Felsen über Nahe und Rhein – dem heutigen Bingerbrück – ihr eigenes Kloster zu gründen. Dort gab es zunächst nichts außer einer kleinen Kapelle über den Gebeinen des Heiligen Rupert, eines lokalen Einsiedlers im 8.Jahrhundert (Achtung, bitte nicht verwechseln mit dem viel bekannteren Rupert von Salzburg!) . Die Klostergebäude musste die kleine Gemeinschaft mit ihrer eigenen Hände Arbeit errichten.

Dort aber war Hildegard unabhängig und machte sich – nach einem schon auf dem Disibodenberg verfassten Erstlingswerk Liber Scivias über ihre legendären Visionen – an ihr naturheilkundliches Meisterwerk. Sie schrieb (mutmaßlich mittels Gehilfen) Latein, benannte jedoch die Pflanzen, Tiere und Mineralien mit ihrem deutschen Namen. Nicht immer war klar, was sie wirklich meinte – die lateinischen Entsprechungen wurden erst später zugeordnet. Manche Rezeptur mag heute bizarr anmuten – schauen wir uns z. B. mal den Eintrag zum Leinsamen an:

Buch 1, Cap. 194, Semen lini: Der Leinsamen hat als Nahrungsmittel keinen Zweck. Gegen
Seitenschmerzen, ebenso bei Brandwunden soll ein in Leinsamendecoct getauchtes Leintuch
umgeschlagen werden. Gegen Seitenschmerzen wird ferner folgende Salbe empfohlen: Leinsamenmehl soll mit dem vierten Theile Pfirsichgummi gekocht werden; dann quetsche man das Innere der Birne zu Saft vom Gewichte des Gummis, gebe diesen nebst eben· soviel
Hirschmark oder Stiertalg zu dem Leinsamenmehl und koche wiederum. kolire dann in ein
neues irdenes Gefäss und reibe damit öfter am Feuer die schmerzhaften Stellen.

Man verstehe das jedoch aus ihrer Zeit: Sie steht noch ganz unter der Prämisse der antiken hippokratischen Vier-Säfte-Lehre, nach der gesundheitliche Störungen aus dem Ungleichgewicht zwischen Blut, Schleim, gelber und schwarzer Galle resultieren (sie hat die Bezeichnungen der Säfte in ihrer eigenen Lehre nach den 4 Elementen Feuer, Wasser, Erde und Luft etwas abgewandelt). Medizin wurde aus allen drei Reichen der Natur gemacht – Tiere, Pflanzen, Steine (= Mineralien). Es fasziniert uns aber, welche Fülle an Informationen Hildegard zusammengetragen hat – nicht nur aus der Natur, die sie vor ihrer Klosterpforte vorfand, sondern auch von exotischen Pflanzen und Gewürzen, die sie noch nie gesehen haben konnte. Im Einzelnen sind ihre Quellen unbekannt. Zum einen waren es gewiss die antiken Schriften, sei es die griechische Arzneilehre des Pedanios Dioskurides De materia medica oder die römische Naturalis historia des Plinius des Älteren. Ganz sicher aber sammelte sie Erfahrungen aus der Volksmedizin, die man ihr mit wachsendem Bekanntheitsgrad in der Gesundheitsfürsorge und Krankenpflege von allen Seiten zutrug. Sie harmonisierte diese Quellen zu einer bisher nicht da gewesenen einzigartigen neuen ganzheitlichen Medizin, die Körper und Seele mit einbezog – und dies zu einer Zeit, als man von den wahren Funktionen des menschlichen Körpern, von Zellen und dem Blutkreislauf, von Bakterien und Viren, auch von den Inhaltsstoffen einer Pflanze, die verantwortlich für ihre Wirkungen sind, noch gar nichts wissen konnte.

Hildegard starb 1179 mit für seinerzeit hochbetagten 81 Jahren. Vom Rupertsberg ist nichts mehr übrig – das Kloster wurde im 30-jährigen Krieg von den Schweden zerstört, der Fels mit seinen verlassenen Klosterruinen im 19. Jahrhundert beim Bau der Nahetal-Eisenbahnlinie durch Bingerbrück gesprengt. Auf der rechten Rheinseite – hoch über Rüdesheim – hatte Hildegard jedoch schon zu Lebzeiten ein zweites Kloster (Eibingen) gegründet, wo die letzten Rupertsberger Nonnen ihre Heimat fanden und auch ihre Gebeine mitnahmen. In der heutigen Pfarrkirche über den Fundamenten dieses Klosters ist der Hildegard-Schrein zu besichtigen. Die heute anerkannte Nachfolge-Benediktinerinnenabtei St. Hildegard mitten in den Rüdesheimer Rebhängen wurde erst 1900 errichtet.

Nun – was hat Hildegard konkret mit unserem Apothekenmuseum zu tun? Es sollte uns gar nicht wundern, unsere Sammlung besitzt Standgefäße aus drei Jahrhunderten, in denen Drogen enthalten waren, die in der Physica bereits beschrieben stehen. Die heutigen Verwendungen sind naturgemäß unterschiedlich. Einige Substanzen sind immer noch offizinell nach dem Europäischen Arzneibuch – wenn auch teilweise in unterschiedlichen Indikationen. Andere finden in der Homöopathie Verwendung, und zusätzlich zu den Medikamenten mit Arznei-Zulassungsnummer gibt es – in Apotheken und auch außerhalb von Apotheken – Produkte in der Naturheilkunde (rechtlich gesehen sind das keine Arzneien, sondern Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel und Kosmetika), die sich speziell an die um 1970 etablierte Hildegard-Medizin von Dr. Hertzka anlehnen. Leider haben diese – wie Sieglinde uns erklärt – auch unseriöse Nachahmer in der Branche gefunden, die nichts mehr mit dem Urheber der Hildegard-Medizin zu tun haben. Ich würde mich das von Anbieter zu Anbieter nicht zu unterscheiden trauen, doch zum Glück kennt sich Sieglinde bestens aus mit den „richtigen“ und den „falschen“ Hildegard-Naturheilmitteln und trennt rigoros die Spreu vom Weizen, wenn sie insoweit etwas in die Finger bekommt.

Darüber hinaus weisen Kritiker darauf hin, alles sei ohnehin eine Grauzone, weil die Texte aus verschiedenen Handschriften kompiliert (die letzte wurde erst 2014 entdeckt) und erstmals 1533 (Edition Johann Schott) in Straßburg gedruckt wurden – möglicherweise enthalten sie also Teile, die ursprünglich gar nicht von Hildegard stammen, sondern später hinzugefügt wurden. In diesen Gelehrtenstreit mischen wir uns nicht ein und können das definitiv nicht nachprüfen. Eine zweite Gesamt-Edition erschien 1835 von Friedrich Anton Reuß in Würzburg und weicht teilweise erheblich von der alten Ausgabe ab. Die Originale könnte ich mir in der Bayerischen Staatsbibliothek ansehen, wozu ich aber noch nicht gekommen bin. Die etwas sperrige Übersetzung des aus Paderborn stammenden Apothekers Julius Berendes (1896/97) des Buchs 1 über die Pflanzen, aus der ich zitiere, ist auch nicht die jüngste, aber die einzige online frei zugängliche ….. eine modernere des Zahnmediziners Peter Riethe (2007) ist im Verlag vergriffen.

So, nun einige Beispiele, die ich auf dem Rezepturtisch aufgebaut habe – jeweils das historische Gefäß zusammen mit Pflanzendroge, frischer Pflanze oder einer Abbildung:

Holzdose Galgant
  1. Schafgarbeblüten (Flores millefolii, eine schwarz gefasste Holzdose des 19.Jahrhunderts: Hildegard empfahl eine Abkochung zur Wundheilung, so ist sie auch heute noch offizinell, zusätzlich aber auch noch gegen Magen- und Darmbeschwerden indiziert.
  2. Fenchelsamen (Semen foeniculi pulvis), in einer Holzdose um 1800: Hildegard empfahl ihn bereits gegen Verdauungsbeschwerden, und so ist er aufgrund seines ätherischen Öls noch immer offizinell zur Anregung der Verdauung, gegen Blähungen und Bauchkrämpfe.
  3. Rainfarnkraut (Herba (T)anaceti); bei der Etikettierung auf der Holzdose des 18. Jahrhunderts aus der Adler-Apotheke in Schwabach fehlt das T. (so etwas konnte vorkommen). Hildegard empfahl den Saft oder Wein universal gegen Husten, Magenbeschwerden und Harnverhalt, heute sind Tropfen in der Homöopathie (offizinell nach HAB) und Hildegard-Natur-Medizin noch in Gebrauch.
  4. Galgantwurzel (Pulvis rizomae galangae): In unserer farbig gefassten Holzdose des 18. Jahrhunderts mit typischem barocken Rocaillen-Dekor befand sich das Pulver aus dem südostasiatischen Ingwergewächs, das Hildegard – verarbeitet in Brötchen oder mit Honig – ebenfalls universal für Lunge, Herz und Magen sowie gegen Rheuma – empfiehlt. Galgantpulver ist heute als Gewürz im Handel und in der Hildegard-Medizin ein wichtiges Kräftigungsmittel für Herz und Kreislauf.
  5. Eine besondere Empfehlung hält Hildegard zu Kubebenpfeffer (Piper cubeba) – einst enthalten in unserem französischen pot de couvert um 1860 – bereit: Er mäßigt die „unziemliche Hitze, macht aber auch den Geist heiter, das Wissen und den Charakter rein.“ Woher die Klosterfrau das wohl wusste??

Nicht alles soll graue Theorie bleiben. Wir öffnen die Pforte zu unserem Natur-und Apotheken-Garten, der auf einem kleinen Areal noch ein Relikt des einstigen Unterbiberger Gemeindewaldes ist. Hier lässt Sieglinde die Teilnehmerinnen Gewächse erkennen und hat jede Menge Gesundheitstipps aus der Hildegard-Medizin und Anschauungsprodukte dazu im Gepäck. Die große Fenchelpflanze wird leicht wiedererkannt. Von allem, was bei uns wächst, greifen wir an dieser Stelle nur wenige Beispiele heraus:

Aus Wermutsaft empfahl Hildegard einen Heilwein:

Buch 1, Cap. 109. W e r m u d a [A. A. A b s i n t h i —u m] (Artemisia Absinthium). Der Wermuth ist sehr warm und äusserst heilkräftig, er hat eine her­vorragende Wirkung bei allen Schwächezustän­den. Bei Kopfschmerzen thut sein Saft mit war­mem Wein als Umschlag gute Dienste, auch bei solchen, die durch Gicht bewirkt werden und bei innerlichen Kopfschmerzen. Ein Theil Wermuthsaft mit zwei Theilen Baumöl in einem Glase an der Sonne erwärmt und ein Jahr lang aufbewahrt, dient als Einreibung bei Brustschmerz und Husten. Eine Salbe gegen Gicht wird bereitet aus vier Thei­len zerstossenem Wermuth, zwei Theilen Hirschtalg und einem Theile Hirschmark. Ein Trank aus viel frischem Wermuthsaft und einer Abkochung von Honig und Wein beseitigt die Me­lancholie, klärt die Augen, stärkt das Herz und die Lunge, wärmt den Magen, reinigt die Ein­geweide und bringt gute Verdauung, wenn er vom Mai bis October jeden dritten Tag nüchtern genommen wird

Die moderne Phytotherapie weiß, dass Bitterstoffe und ätherische Öle für die Appetit und Verdauung anregende Wirkung verantwortlich sind. Wermutkraut ist als traditionelles pflanzliches Arzneimittel im Sinne des § 39a des Deutschen Arzneimittelgesetzes eingestuft. Basierend auf langjähriger Erfahrung kann Wermutkraut zur Behandlung vorübergehender Appetitlosigkeit und zur Behandlung leichter Verdauungsbeschwerden eingesetzt werden.

Sieglinde hat selbst schon einmal probiert, Wermutwein – auch gut fürs Immunsystem! – zu fabrizieren, man braucht jedoch Unmengen an Pflanzenmaterial, um genügend Saft für eine brauchbare Rezeptur herauszubekommen, und nach soviel Matscherei ist die Küche ein Chaos. Mit meinen zwei Pflanzen käme man nicht weit.

Eine wenig bekannte Farnpflanze ist die Hirschzunge. Sie wuchs ursprünglich bei Sieglinde im Naturgarten, nun haben wir einen Teil in unser Schattenbeet versetzt. Wiederum empfiehlt Hildegard ein spannendes Gebräu:

Buch 1, Cap. 30: H i r t z u n g e. [A. A. Scolopendria.] (Asplenium Scolopendrium.) Die Hirschzunge ist warm und heilkräftig bei Lungen- und Eingeweideschmerzen. Man koche dieselbe tüchtig in Wein, gebe reinen Honig zu und lasse noch einmal aufwallen, dann gepulverten langen Pfeffer und zweimal so viel Zimmt, lasse wieder einmal aufkochen und colire durch ein Tuch, so erhält man einen klaren Trank, welcher sowohl bei der Mahlzeit als auch nüchtern genossen, der Leber heilsam ist, die Lunge reinigt, die kranken Eingeweide heilt und den Schleim sowie innere Fäulniss entfernt. Wer an Kopf- und Brustschmerzen leidet, nehme aus der Hand Hirschzunge, die an der Sonne oder auf heissen Ziegelsteinen getrocknet und dann gepulvert ist. Wer vor Schmerzen unmechtig wird, nehme das Pulver in warmem Wein.

Hier muss man sich nicht selbst mit abstressen, sondern kann ein Fertigelixier in naturheilkundlichen Shops, von Herstellern in der Hildegard-Medizin und in der Apotheke (nicht-offizinelles Nahrungsergänzungsmittel) kaufen – Sieglinde empfiehlt den Trank für Leber und Lunge, gut für die Bauchspeicheldrüse und als allgemeines Kräftigungsmittel.

Hirschzunge

Die Teilnehmerinnen erkennen bei uns weitere Hildegard-Pflanzen wie Beifuß, Bohnenkraut und Ysop, Quendel und Thymian, Salbei, Hopfen, Weinrebe, Efeu, Brombeere, Lungenkraut, Ringelblume, Liebstöckel, Gundermann, Beinwell. Es gibt auch Lavendel, Knoblauch, und Zwiebel, davon aber hielt sie nichts. Zwiebel hielt sie gar roh für giftig. Andererseits – zwei heute als Giftpflanzen eingestufte Gewächse gehören zu den etablierten Hildegard-Heilpflanzen:

Die zurzeit prachtvoll blühende Akelei empfahl sie gegen unreine Haut, den Saft mit Wein gegen Fieber. Vom Alkaloid Magnoflorin und einem weiteren, Blausäure bildenden Glykosid vor allem in den Wurzeln – aber auch in den Blättern – hat sie ja nichts wissen können. In der Homöopathie und naturheilkundlichen Hildegard-Medizin ist Akelei-Tinktur (Tropfen) noch im Einsatz. In der allopathischen Phytotherapie hat die Pflanze jedoch nichts mehr zu suchen.

Auch die wegen problematischer Inhaltsstoffe (phototoxische Furanocumarine und Chinolin-Alkaloide) 1988 aus dem Deutschen Arzneimittel-Kodex (DAC) herausgeflogene Weinraute hat Hildegard noch bedingungslos als Universalheilmittel empfohlen: Gegen Magen-Darm-Probleme und „ungehörige Gemütsaufwallung“, als Salbe gegen „Triefaugen“, Rautensaft mit Honig und Wein gegen „getrübte Augen“, gegen Nieren- und Unterleibsschmerzen eine Einreibung aus Raute, Wermut und Bärenfett. Im Homöopathischen Arzneibuch ist die Weinraute noch enthalten, und in der Hildegard-Medizin weiß Sieglinde wieder um äußere und innere Anwendungen gut Bescheid. Auch hier gilt es wieder die richtigen (Hildegard-Medizin nach Dr. Hertzka) von den falschen zu unterscheiden.

Vor unserem Giftbeet, über dem ein Totenkopf-Warnschild schwebt, betonen wir beide: Bitte auf keinen Fall in Eigenregie mit diesen Pflanzen experimentieren!!!!

Zum krönenden Abschluss gönnen wir uns noch etwas ganz Harmloses: Die Petersilie. Wirklich harmlos? Gehört die nicht ins Giftbeet, wurde sie doch 2023 zur Giftpflanze des Jahres gekürt? Nun, das betrifft nur die blühenden Exemplare in ihrem zweiten Lebensjahr. Vor allem im Öl der Samen wird dann das für Leber und Nieren gefährliche Apiol gebildet, das auch abortiv wirkt. Im Mittelalter war verblühte Petersilie daher auch ein Abtreibungskraut. In Buch 1, Kapitel 68 der Physica zeigt Hildegard insoweit aber kein Problembewusstsein. Sie empfiehlt vielmehr:

Gegen Herz-, Milz- und Seitenschmerzen koche man Petersilie in Wein
mit etwas Essig und viel Honig und lasse davon öfter trinken.

Und genau das machen wir jetzt auch! Den von mir zum Abschluss der Veranstaltung im Garten servierten „Herzwein“ (volksmedizinisch als Universal-Herz-und Kreislaufmittel überliefert, besonders bewährt beim Altersherz) habe ich selbst hergestellt aus 20 Stängeln Petersilie, 4 EL Bio-Weinessig, 2 Liter Bio-Weißwein und 300 g Bio-Honig – eine die allgemeinen Vorgaben Hildegards präzisierende Rezeptur von Karin Greiner aus dem Volksheilkundekurs der Gundermannschule. Im Internet kursieren andere Varianten, mit mehr oder weniger Honig, länger oder kürzer gekocht. Unter den 5 geretteten Keller-Gewölben vom Rupertsberg in Bingerbrück, wo heute ein gemeinnütziger Verein – die Rupertsberger Hildegard-Gesellschaft – Events und Workshops ausrichtet, wurde in einer SWR-Sendung 2018 (Expedition in die Heimat mit Moderator Steffen König ) von einer Apothekerin in einer historischen Infundierbüchse gar eine Variante aus der Wurzel nur mit Wein und Weinessig und ohne Honig gekocht – nach der Physica falsch!

Nun – wohl bekomm’s, „1-3 Schnapsgläser pro Tag, und wir sind gestärkt für den Rest des Tages!“

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