Die Apotheker-Krämer von Paris
Der Beruf des Apothekers entstand nicht nur aus dem des Arztes, sondern hat auch gemeinsame Wurzeln mit dem des Krämers (den man heute wohl Supermarktbetreiber nennen würde). Tatsächlich gab es einige Gemeinsamkeiten zwischen diesen heute so unterschiedlich erscheinenden Berufen: beide waren auf exotische Zutaten aus fernen Ländern angewiesen. Der Apotheker, um möglichst heilkräftig erscheinende Arznei daraus zu machen, der Krämer, um sie als Luxusartikel an betuchte Kunden zu bringen. Um nicht übervorteilt zu werden, mussten sich also beide mit dem Fernhandel auskennen. Dann mussten beide Ladengeschäfte und Lager unterhalten und darüber hinaus auch noch Beziehungen zu den lokalen Kräuterfrauen und Schlangenfängern pflegen, da ja der Großteil der Substanzen am Ende doch regionaler Herkunft war. Insofern lag es nahe, diese ähnlichen Interessen auch in einer gemeinsamen berufsständischen Organisation zu vertreten oder zumindest unter einem gemeinsamen Dach aufzutreten (siehe etwa die Safranzunft zu Basel).
In Frankreich hießen diese Organisationen „Corps“ (etwa: Körperschaft), und in Paris gab es die „Six Corps de Marchands“, also die sechs Korporationen der Kaufleute. Die zweite dieser sechs Gesellschaften waren die Épiciers-Apothicaires, also die Apotheker-Krämer, die auch Drogisten, Wachs- und Kerzenmacher sowie Konditoren vertraten. Die ersten Statuten dieses Corps stammen von 1311, und die Apotheker werden erstmals 1353 erwähnt – da allerdings waren sie noch strikt getrennt von den Krämern, und das Corps war nur eine gemeinsame Dachorganisation. Dies änderte sich aber 1484, als König Karl VIII. die beiden Berufe zusammenlegte und postulierte, dass jeder Apotheker auch ein Krämer sei, jedoch nicht jeder Krämer auch ein Apotheker. Dies führte sofort zu internen Reibereien. Die Apotheker hielten sich für etwas Besseres, die Krämer hingegen waren zahlreicher und besetzten alle Gremien mit eigenen Leuten. Darüber beschwerten sich die Apotheker beim König (mittlerweile Ludwig XII.), und dieser verfügte 1518, dass es getrennte Gremien geben müsse. Daraufhin verboten die Krämer den Apothekern, mit Kräuterwein, Wachs und Saucen zu handeln. Im Ernstfall hielten beide jedoch zusammen, wenn es nämlich darum ging, das gemeinsame Privileg der Oberaufsicht über Waagen und Gewichte gegen Übergriffe anderer Gewerbe zu verteidigen.
Weitere königliche Proklamationen (1638, Ludwig XIII.) legten eine heilige Union der beiden Berufe in alle Ewigkeit fest, was die Streithähne aber nur kurz befrieden konnte. 1691 schließlich hatten die Krämer genug von den Apothekern und erkauften sich vom König (nunmehr Ludwig XIV.) mit einem Betrag von 120000 Livres die Unabhängigkeit – aber nur 6 Monate später kam es zur Wiedervereinigung, weil man sich nicht über die Aufteilung von Vermögen und Schulden einigen konnte. Erst 1777 kam es zur endgültigen Trennung, die Apotheker wurden durch königliche Ordonnanz (Ludwig XVI.) von den Kaufleuten abgespalten und im neu gegründeten Collège de Pharmacie wieder konstituiert. Damit vollzogen die Pariser Apotheker – möglicherweise als Erste weltweit – den Schritt vom Handwerker zum Wissenschaftler.
Unsere neuesten Exponate zeigen den jahrhundertelangen Zwist auf kleinstem Raum (33 mm Durchmesser). Es handelt sich um zwei so genannte Jetons de Présence (etwa: Anwesenheitsmarken) des Corps. Diese Silbermünzen erhielten die in ein Gremium gewählten Meister als Kompensation für ihre Zeit – also ein Vorläufer des heute noch bei vielen Ehrenämtern bezahlten Sitzungsgeldes.
Die französischen Jetons zeigen oft ein Porträt des regierenden Monarchen (unsere Exponate allerdings nicht) sowie Symbole und Sinnsprüche der jeweiligen Körperschaft. Unsere erste Münze ist von 1710, wobei dies nicht unbedingt das Prägedatum sein muss, da es gelegentlich zu Nachprägungen auf Basis der alten Formen kam. In diesem Fall ist das jedoch unwahrscheinlich aufgrund der Limitierung auf 500 Exemplare. In jedem Fall spiegelt aber die inhaltliche Gestaltung der Münze die zur Zeit der Formerstellung herrschenden Verhältnisse wider: Apotheker und Krämer waren zwar im Corps vereint, hielten aber ansonsten nicht viel voneinander. Daher bekamen beide je eine Seite des Jetons und konnten sie nach ihren Vorstellungen gestalten.
Auf der Krämerseite erkennen wir zwei Schiffe auf See, darüber eine von einer Hand gehaltene Waage, umrahmt von einer Kartusche mit Rocaillen. Der Sinnspruch lautet „Lances et pondera servant“ (Sie sind für die Gewichte und Waagen zuständig) und die Bezeichnung „Marchands des Epiciers et Apotiquaires 1710“. Hier werden also die Krämer zuerst genannt und die Apotheker falsch geschrieben. Dazu muss man wissen, dass die Statuten des Corps u. a. die Ausbildung zum Gesellen und die Erlangung der Meisterwürde regelten – und diese Vorschriften waren bei den Krämern deutlich entspannter: die Ausbildung war kürzer, und man musste auch nicht lesen und schreiben können.
Auf der Apothekerseite der Medaille sehen wir eine Palme mit Schlange in Felsenlandschaft, umrahmt von einer Kartusche mit Rocaillen. Der Sinnspruch lautet „In his tribus versantur“ (in diesen drei [Reichen der Natur] kennen sie sich aus) und die Bezeichnung „Marchands des Apothicaires Epiciers 1710“. Die Apotheker nennen also sich selbst zuerst und legen mehr Wert auf Orthographie. An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass die Symbolik der drei Reiche der Natur (siehe dazu auch hier) erstmals nachweisbar ist auf einem ganz ähnlichen Jeton von 1628 (angeblich soll die Nationalbibliothek Frankreichs sogar einen von 1556 hüten). Unserer von 1710 datiert aber immer noch lange vor Lessing, Mylius und Carl von Linné, die gelegentlich als Erfinder der Systematik „Tier-, Pflanzen- und Mineralreich“ genannt werden.
Unser zweiter Jeton stammt von 1778 und wurde geprägt anlässlich der im Vorjahr erfolgten Gründung des Collège de Pharmacie als neuer Körperschaft zur Regelung des Apothekerberufs – erstmals unabhängig von den Krämern und herausgelöst aus dem größeren Kontext der Kaufleute. Wir können daraus auch schließen, dass der Einkauf exotischer Substanzen nicht mehr als zentrale Kompetenz des Apothekers angesehen wurde, sondern vielmehr die Herstellung der Arzneiprodukte nach wissenschaftlichen Kriterien.
Die vormalige Krämerseite der Münze ist nun zur Seite des Collège de Pharmacie geworden: wir sehen einen Hahn und eine Schlange, die sich drohend gegenüber stehen. Darüber das Motto der Hochschule „Et vigil et prudens” (so wachsam wie umsichtig). Auf der Apothekerseite sehen wir die bekannte Palme mit Schlange in Felsenlandschaft, gerahmt von einem Lorbeerzweig unten und Gehänge im Zopfstil oben. Der Sinnspruch lautet weiterhin „In his tribus versantur“, aber die Bezeichnung nunmehr „Collège de Pharmacie 1778“.
Unser Jeton von 1710 ist auf dem Rand nummeriert als N°259/500, der Jeton von 1778 trägt keine Limitierung, nach Aufzeichnungen der Hochschule wurden 5200 Exemplare geprägt.
Im Zuge der bald folgenden französischen Revolution wurde die Hochschule aufgrund ihrer royalistischen Herkunft politischer „Umtriebe“ verdächtig und durch „bürgerliche, freiheitliche“ Organisationen ersetzt. Diese konnten kaum mehr wagen, die alten Bräuche zu praktizieren, und damit verschwanden dann auch die Jetons de Présence. Nach 1778 sind keine weiteren Exemplare bekannt geworden.