Bärenzug
Schweizer Mörser sind selten. Das hört man gelegentlich, obwohl ich denke eine wirklich fundierte Untersuchung hat es dazu noch nicht gegeben. Vielleicht gibt es bezogen auf die Einwohnerzahl gar nicht weniger Kirchenglocken oder Kanonenrohre in der Schweiz. Dann spräche viel dafür, dass die eidgenössischen Glocken- und Geschützgießer auch beim Mörserguss nicht weniger produktiv waren als andere. Ob aber Franz Sermond (Francesco Sermondi), ein aus Bormio nach Bern eingewanderter Glockengießer, jemals einen Mörser hergestellt hat, das ist fraglich. Verbürgt ist jedoch, dass er 1571 diesen Bärenzug auf eine Berner Turmglocke gebracht hat:
Das Relief zeigt musizierende und Waffen tragende Berner Burger (nicht Bürger) als Bären. Der Bär ist ja nicht nur das Wappentier von Bern, sondern seit Jahrhunderten werden auch lebende Tiere – mittlerweile wohl artgerecht – in der Stadt gehalten. Der Bär ist also ein Berner und dieses Bärenregiment, das heute eher wie eine Karikatur wirkt, wurde im 16. Jahrhundert als eine Zurschaustellung militärischer Schlagkraft verstanden.
Der Glockengießer Franz Sermond starb im Jahr 1588 und in seinem Testament bestimmte er seinen Schüler Abraham Zender zum Erben seiner Werkzeuge. Zu diesen gehörte sicherlich auch der Bärenzug, sowie mindestens ein anderes Relief, das Wilhelm Tells Apfelschuss zeigt. Beide Gussformen wurden in der Folge wiederverwendet: der Apfelschuss auf mehreren nachweislich von Zender gegossenen Glocken und den Bärenzug finden wir auf drei in den 1590ern datierten Mörsern. Man würde daher meinen es wäre kein Wagnis die Mörser ebenfalls dem Abraham Zender zuzuschreiben.
Aber es wird kompliziert. Drei Mörser sind zwei mehr als üblicherweise gemacht wurden. Und Heinrich Angst, der erste Direktor des Landesmuseums Zürich, sprach 1904 von vier weiteren Exemplaren in Privatsammlungen. Da kann einem tatsächlich Angst und Bange werden – eine derartige Massenproduktion ist für das 16. Jahrhundert schwer vorstellbar. Handelt es sich hier etwa um Nachgüsse aus dem 19. Jahrhundert – zumindest teilweise?
Aber bleiben wir bei den Fakten. Der erste Bärenzug-Mörser trägt das Datum 1591 und steht nun im Apothekarium:
Die streng zylindrische Form mit ausladender Mündung entspricht dem klassischen deutschen Typ, die Handhaben und das Relief erinnern eher an italienische und französische Vorbilder.
Aufgrund des militärischen Themas dürfte es sich bei den behelmten Köpfen links und rechts auch um Soldaten handeln. Somit stellt sich natürlich die Frage, ob dieser Mörser jemals in einer Apotheke gestanden hat. Möglich wäre es schon, denn es gab seit 1571 die „Deutsche Apotheke“ (heute Rathausapotheke), die auf Initiative von Schultheiß und Grossem Rat eingerichtet wurde. Somit wäre ein Mörser mit bernischem Thema in dieser quasi staatlichen Apotheke durchaus logisch, insbesondere weil 1591 ein neuer Apotheker namens Andreas Waeger den Betrieb übernahm. Sein Vorgänger war in Ungnade gefallen und auch Waeger musste 1599 wieder ausziehen, nachdem er „ein ganz Regiment hier gescholten“ hatte. Denkbar wäre aber schon, dass er zu seinem Amtsantritt einen Mörser bei Abraham Zender bestellt hat, um dem Rat zu gefallen.
Dies erklärt allerdings nicht die Nummer 2, die sich seit 1904 im Bestand des historischen Museums zu Bern befindet. Die Grundform ist identisch zu Nummer 1, es gibt jedoch Unterschiede in der Nachbearbeitung. Zum Beispiel ist der Hintergrund der Jahreszahl glatt und nicht wie bei Nummer 1 punziert. Somit kann es sich also nicht um einen Abguss handeln. Die Datierung 1591 und der Bärenzug sind identisch, jedoch ist der Duktus der Jahreszahl etwas anders, was sich dadurch erklären lässt, dass sie von Hand aufgebracht wurde.
Heinrich Angst kannte diese Nummer 2 und war wohl auch am Ankauf für das Berner Museum beteiligt. Er hielt den Mörser für authentisch, ebenso wie alle anderen ihm bekannten Ausführungen. Da er einer der führenden Antiquitätenexperten seiner Zeit war, ist diesem Urteil einiges an Gewicht beizumessen.
Die Nummer 3 der Bärenzug-Mörser trägt die Jahreszahl 1593 und wurde 2007 in Paris bei Artcurial versteigert. Die Ergebnisseite ist noch online und wie man dort sehen kann, ist auch dieser Mörser aus einer anderen Form entstanden. Sowohl Fuß als auch Mündung unterscheiden sich, nur das Relief ist wieder dasselbe – wenn es auch weniger tief erscheint.
Drei Bärenzug-Mörser sind also gesichert. Gemäß der Aussage von Heinrich Angst könnte es jedoch weitere Exemplare geben, für die wir vorsorglich die Nummern 4, 5, 6 und 7 reservieren.
Franz Sermonds Glocke, übrigens auch im historischen Museum zu Bern verwahrt, ist natürlich größer als die Mörser. Der Bärenzug darauf hat aber dieselbe Höhe, nur horizontal ist er um ca. 10 cm gedehnt. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass das zugrunde liegende Relief ein Negativ war, von dem ein Wachsabdruck genommen wurde. Beim Aufsetzen dieses Abdrucks auf die größere Glockenform wäre eine leichte Dehnung vorstellbar.
Könnte sich das Bärenrelief aber tatsächlich bis ins 19. Jahrhundert erhalten und dann der Gießerei Rüetschi als Vorlage gedient haben? Dies deutet eine anonyme Aktennotiz in den Unterlagen des Berner Museums an; die Gießerei selbst weiss davon aber nichts und hätte solch ein wertvolles, vermutlich in Bronze gegossenes Relief sicherlich auch aufgehoben.
Die Sache ist also verzwickt, eine Materialanalyse könnte Aufschluss bringen. Denn bei einem offiziellen Gießereiprodukt hätte man sicherlich kein altes Material eingeschmolzen, um irgendjemanden zu täuschen. Wie immer kann die Materialanalyse aber nur „neu“ beweisen und niemals „alt“.
Die Helme der beiden seitlichen Köpfe wurden an anderer Stelle schonmal als Narrenkappen identifiziert. Das ist zwar eher unwahrscheinlich, aber passt doch irgendwie zur Story. Denn bei dieser Mörserschwemme könnte man leicht selber eine Narrenkappe verpasst bekommen.
Vielleicht muss eines Tages das berühmte van Gogh Gedicht von Alfred Kerr umgeschrieben werden:
Wir bleiben dran und freuen uns über jegliche Hinweise!