Christus als Apotheker
Ein Experiment im Apothekarium einen Tag vor dem Christkönigsfest (24. November): drei verschiedene Vortragende zu einem Thema, das aus drei unterschiedlichen Blickwinkeln erschlossen wird: historisch, botanisch und spirituell.
Zuerst bin ich an der Reihe mit dem eher rationalen, kunstgeschichtlichen Teil – aber durchaus mit dem Anspruch, die historischen Tatsachen lebendig zu schildern und längst vergangene Zeiten ein wenig abzufeiern. Denn wahrscheinlich wird man eines Tages auch auf unsere Zeit zurückblicken und das, was heute völlig normal erscheint, als Kuriosa der Vergangenheit betrachten. Und so verhält es sich auch mit unserem Thema, dem Bildmotiv „Christus als Apotheker“: denn aus heutiger Sicht liegt es nicht gerade nahe, die Pharmazie mit der Religion zusammenzubringen. Immerhin meinen wir, hier eine rationale Wissenschaft und dort eine glaubensbasierte Geisteslehre vor uns zu haben. Tatsächlich dürfen wir aber die Pharmazie des 18. Jahrhunderts und davor nicht als Wissenschaft betrachten – allenfalls als gut gelerntes, erfahrungsbasiertes Handwerk. Die Wirkung eines Arzneimittels war damals fast so unerklärlich und wundersam wie die Wege Gottes.
Genug der Vorrede, jetzt nur noch ein kleiner Exkurs durch die möglichen Quellen religiöser Bildthemen (Bibel, Heiligenlegenden und Marienverehrung bringen nicht viel zum Thema Apotheker), und wir können uns gleich das berühmte Bild aus Werder anschauen, das auch das Titelbild unseres Flyers war. Aus der so genannten Volksfrömmigkeit heraus entstanden nämlich nicht nur Weihwasser, Wallfahrten und Ablasshandel, sondern eben auch Gnaden- und Andachtsbilder wie dieses. Theodor Fontane hat dieses Gemälde entdeckt und als Erster über das Bildthema geschrieben – allerdings eher despektierlich, was ich heute aber respektvoll ausspare. Denn sicherlich ist es ihm zu verdanken, dass der Brandenburger „Apotheker-Christus“ zu neuen Ehren kam und wir heute fast 150 Bilder zu diesem Thema kennen – eines davon sogar in München in der Schützenapotheke.
Ich zeige in der Folge einige der bekanntesten Bilder der Serie und erkläre, was darauf eigentlich passiert – wieso wiegt Jesus mit einer „Creutz-Wurtz“ die menschlichen Sünden auf und warum klammert sich ein kleiner Teufel als Gegenspieler an die Waagschale? Und welchem Zweck dienen die Apothekengefäße, die mit den christlichen Tugenden beschriftet sind? Und was bedeutet der später auftretende Kelch mit schwebender Hostie?
Insgesamt schauen wir uns ein Dutzend teils sehr verschiedene, teils aber auch verblüffend ähnliche Bilder an. Chronologisch beginnen wir im frühen 16. Jahrhundert in Rouen und enden im 18. Jahrhundert mit dem auslaufenden Rokoko. Eine interessante Frage dabei ist, ob wir evangelische Maler von katholischen unterscheiden können? Und tatsächlich, das funktioniert sowohl inhaltlich, als auch anhand von konkreten Details. Ganz grob kann man wohl sagen, dass der Ausgangspunkt die lutherische Rechtfertigungslehre ist, die mit Analogien zur Tätigkeit eines Apothekers dargestellt wird. Bei den katholischen Bildern tritt die pharmazeutische Praxis hingegen immer mehr in den Hintergrund, die Apotheke wird zur Kulisse für Jesus und seine Heilsbotschaft.
Zu vielen dieser Bilder könnte man ganze Geschichten erzählen bzw. die Bilder erzählen uns diese Geschichten, aber ich beschränke mich auf ein paar Highlights und gebe dann ab an Gabriele, unsere Kräuterpädagogin für Volksheilkunde.
Sie hat acht kleine Vierkantgefäße vorbereitet und beschriftet mit den christlichen Tugenden, die wir auch auf den Gemälden gesehen haben: Glaube, Hoffnung, Liebe, Hilfe, Beständigkeit, Frieden, Geduld und Gnade. Diese möchte sie im Laufe ihres Vortrags mit dazu passenden Pflanzen befüllen. Dazu zieht sie Clemens Zerlings „Lexikon der Pflanzensymbolik“ heran und ergänzt die christliche Symbolik um pharmazeutische und naturheilkundliche Aspekte.
Wie man im Bild sieht, bleiben Gnade und Geduld leer – hier hätten wir vermutlich mehr Geduld oder göttliche Gnade gebraucht, um passende Pflanzen zu finden. Für alle anderen Tugenden stellt Gabriele jeweils zwei Pflanzen vor und lässt das Publikum entscheiden, welche mehr überzeugt und daher ins Gefäß kommt.
Sie beginnt mit dem Glauben und bietet dafür Iris und Ysop an, letzterer macht das Rennen, denn schon im Alten Testament schrieb David in 51:7: „Entsündige mich mit Ysop, so werde ich rein“ – und auch Hildegard von Bingen empfahl das kräftigende Kraut. Heute ist es jedoch nicht mehr offizinell und weitgehend in Vergessenheit geraten, so dass seine Inhaltsstoffe nie näher untersucht wurden.
Als Pflanzen der Hoffnung präsentiert Gabriele die Fichte und die Schlüsselblume. Obwohl letztere bei der christlichen Symbolik punktet – immerhin dient sie Petrus als Himmelsschlüssel – so wird doch die Fichte ausgesucht: kerzengerade und schnellwüchsig gegen den Himmel strebend steht sie für Maria und die Hoffnung auf bessere Zeiten, verkörpert durch das göttliche Erlöserkind Jesus Christus, das sie geboren hat. Pharmazeutisch dienen die frischen Triebspitzen zur Schleimlösung und das ätherische Öl der Nadeln zum Einreiben bei Muskel- und Gelenkschmerzen.
Unsere Pflanzen der Liebe sind Rose und Rosmarin (trotz der Namensähnlichkeit botanisch nicht miteinander verwandt). Hier fiel die Entscheidung nicht leicht, denn die Rose deckt von der reinen Liebe (Maria im Rosenhag) über die Erotik (Botticelli – Geburt der Venus) bis hin zum Gewerbe (Rosengassen in Rotlichtvierteln) das komplette Spektrum ab, während der Rosmarin vor allem durch den Duft und als Aphrodisiakum(!) überzeugt. Am Ende kommen beide Pflanzen ins Gefäß. Pharmazeutisch anerkannt ist der Rosenblütentee bei leichten Entzündungen und das in den Blättern des Rosmarins enthaltene ätherische Öl als Kreislaufstimulans.
Bei den Pflanzen der Beständigkeit erweist sich die Akazie als botanisch zu sperrig, obwohl aus ihr schon die Bundeslade gemacht wurde, die die Gesetzestafeln des Moses bewahrte. Aber die dickstämmige und unverwüstliche Zeder riecht nicht nur gut, sondern garantiert auch die Langlebigkeit der Ehe, wenn das Brautbett aus ihr gezimmert wird. Naturreines Zedernöl wird zur Beruhigung von Körper und Seele angeboten, etwa bei Nervosität und Konzentrationsschwierigkeiten.
Ebenfalls eine klare Entscheidung bei den Pflanzen der Hilfe: die teilweise giftige Akelei mag zwar dreiblättrig für die Trinität stehen, jedoch vertreibt der Wacholder die bösen Geister und im Mittelalter räucherte man damit die Krankenstuben aus (allerdings erfolglos, Bakterien lassen sich davon nicht beeindrucken). Offizinell ist das aus den Beerenzapfen gewonnene ätherische Öl bei Muskel- und Gelenkschmerzen, volksheilkundlich gilt der Wacholder wegen seiner harn- und schweißtreibenden Wirkung als Unterstützungspflanze.
Schließlich die Pflanzen des Friedens: obwohl sich sowohl Linde als auch Lorbeer in unserem Apothekergarten befinden, kam die friedensstiftende Dorflinde nicht an gegen den Lorbeerkranz des Siegers, obwohl der den Frieden eigentlich nur indirekt mit sich bringt als Konsequenz des Sieges für eine gerechte Sache. Im Gegensatz zu den Flavonoiden der Lindenblüten (fiebersenkend) kann der Lorbeer – einst ein reinigendes Abführmittel – heute nur noch als Küchengewürz überzeugen.
Am Ende der Befüllungsaktion spekuliert Gabriele noch, was die „Creutz-Wurtz“ auf den gezeigten Gemälden denn botanisch gewesen sein könnte, und nennt an erster Stelle den in frühneuzeitlichen Kräuterbüchern so genannten Kreuz-Enzian. Spaltet man dessen Wurzel, so entsteht ein kreuzförmiger Spalt, der im Volksglauben möglicherweise (Belege fehlen) als Symbol für Jesus Christus betrachtet wurde. Nach anderer Lesart könnte das Greiskraut (aber welche von rd. 1200 Arten?) oder das Benediktenkraut in Frage kommen
Damit leiten wir über zu Sieglinde (PTA und Gesundheitsberaterin), die sich um die spirituelle Seite des Themas kümmert. Mit allerlei Proben, die herumgegeben werden, und Geschichten aus ihrem Leben als Pilgerbegleiterin macht sie uns darauf aufmerksam, dass nicht immer alles so klar auf der Hand liegt wie wir es gerne hätten. Persönliche und spirituelle Erfahrungen wiegen manchmal schwerer als das Bekannte und Bewährte – somit kann die Creutz-Wurtz nicht nur für den christlichen Glauben stehen, sondern ganz allgemein für eine innere Einstellung, die die Waagschale des Lebens nach unten und den sich an die andere Schale klammernden Teufel nach oben zieht. Diese Betrachtung gibt dem spannenden Thema eine besondere, individuelle Note und den rechten Ausklang für den sonnigen Samstagmittag mit dem ersten frühen Schnee in Neubiberg.