Gifte in der historischen Apotheke
Vorgestern fand unser erster Vortrag mit neuer Präsentationstechnik statt, und wir waren ehrlicherweise etwas angespannt, ob das alles auch so funktionieren würde wie gedacht – inklusive Video-Einspieler der „eiskalten Zoe”. Erfahrungsgemäß gehört Präsentationstechnik zu den fragilsten Aufbauten überhaupt – nicht selten sieht man Vortragende verzweifelt mit Beamern und Netzwerken kämpfen, anstatt inhaltlich durchzustarten. Zum Glück ging bei uns aber alles glatt, und wir konnten reibungslos in die spannende Welt der Gifte einsteigen.
Am Anfang jeglicher toxikologischer Unternehmung stand und steht „der Hohenheimer“ oder „Doktor Theophrastus“ oder – wie er sich selbst nannte – der „Doktor beyder Arzneyen“. Ein apokrypher Titel, angeblich 1516 erlangt durch eine Promotion in Ferrara, der nichts anderes bedeutet, als dass er äußerliche (chirurgische) und innere Medizin beherrschte. Dieser faszinierende Universalgelehrte, der sicherlich einen eigenen Vortrag verdient hätte, ist uns heute besser bekannt unter seinem Autorennamen Paracelsus. Zwar waren Gifte seit Menschengedenken bekannt (schon Ötzi hatte vor über 5000 Jahren nachweislich Kontakt zu Arsen), jedoch sprach Paracelsus als Erster in aller Deutlichkeit aus:
Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die dosis machts, daß ein Ding kein Gift sei.
Diese Erkenntnis war damals revolutionär – so revolutionär, dass Paracelsus sich in einer Verteidigungsschrift rechtfertigen musste. Er sah sich nämlich seitens der Schulmedizin heftigen Angriffen ausgesetzt, er würde mit Giftstoffen behandeln. Unter anderem führte er Arsen in die europäische Heilkunde ein – im damals aussichtslos erscheinenden Kampf gegen „den Franzosen“ (umgangssprachliche Bezeichung für die Syphilis). Dieser Ansatz war bis in die Moderne brandaktuell, im Jahr 1910 kam beispielsweise Salvarsan auf den Markt, das so genannte Heilarsen.
Damit sind wir auch schon mitten im ersten Giftstoff, nämlich eben dem legendären Arsen, das vor allem im Zusammenhang mit spektakulären Mordfällen bekannt wurde. Aus allen drei Reichen der Natur wollen wir Gifte vorstellen, und das dritte Naturreich, das der Mineralien und Steine, macht nun den Anfang. Neben Paracelsus und Ötzi hatten auch viele weitere historische Persönlichkeiten mit Arsenverbindungen zu kämpfen, so etwa Napoléon, Fürst Pückler und im 18. Jahrhundert der gesamte französische Königshof. Auch von Arsenik-Essern und dem Hüttenrauch berichten wir, denn Arsentrioxid kann nicht nur klinisch nachweisbar Krebs sowohl erzeugen als auch heilen – es ist auch ein potentes Dopingmittel mit vergleichbarer Wirkung wie das aus dem Profisport bekannte EPO.
Das erste Reich der Natur – in unserem Vortrag aber an zweiter Stelle stehend – ist das der Tiere, und wir haben Cantharidin als Gift ausgesucht. Die so genannte Spanische Fliege (keine Fliege, sondern ein Ölkäfer) produziert diese gefährliche Substanz, die ebenfalls Napoléon geärgert hat, aber auch sonst für jede Menge bizarrer Todesfälle verantwortlich ist. Nicht im Vortrag erwähnt wurde in dieser Beziehung der Marquis de Sade, da hierzu die Stunde noch nicht vorgerückt genug war. Stattdessen beschäftigten wir uns mit pharmazeutischen Anwendungen des Cantharidin, es gibt schulmedizinische Arzneimittel und auch in alternativmedizinischen Ausleitungsverfahren wird heute noch das Cantharidenpflaster eingesetzt.
Das zweite Reich der Natur – und für uns heute das letzte – ist das Reich der Pflanzen. Dieses behandelte meine Frau in unserem Apothekergarten, wo wir ein Giftpflanzenbeet angelegt haben. Beim Verlassen der Offizin dürfen alle Teilnehmer noch einmal selten zu sehende – und sorgfältig verplombte – Exponate bestaunen, die Arsen und Cantharidin enthalten. Am Giftpflanzenbeet ist ebenso äußerste Vorsicht geboten, denn der Blaue Eisenhut als Lieferant des nur noch homöopathisch in sehr hohen Potenzen verwendeten Aconitin sollte nur mit Handschuhen angefasst werden. Immerhin handelt es sich um die giftigste Pflanze Europas. Auch der Purpurrote Fingerhut (Hauptinhaltsstoff: das herzstärkende Glykosid Digitoxin, nur noch in Fertigmedizin) hat als Tee oder Tinktur in Apotheken nichts mehr zu suchen. Ebenfalls ein Herzglykosid, heutzutage aber seltener gebräuchlich, ist das Convallatoxin im Maiglöckchen. Das halluzinogen wirkende Alkaloid Atropin aus der Tollkirsche wird isoliert noch in der Augenheilkunde und Notfallmedizin verwendet. An der lebenden Pflanze erklärten wir sowohl pharmazeutische als auch fragwürdige Anwendungen dieser Stoffe. Weniger giftige Pflanzen wie Akelei oder Weinraute sind noch homöopathisch oder in der Hildegard-von-Bingen-Medizin gängig. Dass auch die Petersilie giftig ist, wenn sie im zweiten Jahr blüht – vor allem in den Samen, aber auch den übrigen Pflanzenteilen sitzt dann das lebertoxische Apiol – erstaunte einige Teilnehmer*innen. 2023 wurde sie zur Giftpflanze des Jahres erklärt.
Höhepunkt der Veranstaltung war im Anschluss die Verkostung fragwürdiger Gebräue auf der Terrasse. Wir haben aus der Schwalheimer Löwenquelle bei Bad Nauheim Heilwasser mit dreifach den Trinkwassergrenzwert überschreitendem Arsengehalt eigenhändig abgefüllt sowie 80%igen giftgrünen Absinth besorgt, der das Nervengift Thujon aus dem äherischen Öl des Wermuts enthält. Mutige und freiwillige Teilnehmer durften nach Belieben zusprechen, natürlich haben wir selbst vorgekostet.
Bislang gab es keine Beschwerden, wir werden aber unsere nächsten Veranstaltungen genau im Blick behalten in Bezug auf Besucherschwund!
Es gäbe noch viel zu erzählen, einige besonders unangenehme Substanzen kamen ja noch gar nicht zur Sprache, aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. In diesem Sinne herzlichen Dank an alle Teilnehmer und bis zum nächsten Mal im Apothekarium Neubiberg.