Zaubertränke in der Apotheke
Mit zwei Kräuterführungen haben wir an Spannendem in diesem Frühsommer noch nicht genug – meine bewährte Kooperationspartnerin Sieglinde Schuster-Hiebl und ich. Sie ist nicht nur PTA und Gesundheitsberaterin, sondern auch gefragte Naturpädagogin für Kinder und beruflich im Waldkindergarten Trudering sowie an der EmiLe Montessori-Grundstufe in Neubiberg zu Hause. An einem hundsgemeinen Montag (3. Juli) möchten wir ein bisschen Spaß für die Kids der Mars-Klasse bieten, die gerade ein Projekt rund um das Thema „Zauberei und Hexerei“ bearbeitet. Da passt doch eine historische Apotheke hervorragend ins Bild!
Wer heute eine moderne Apotheke mit cool gestylten Kunststoff- und Glasregalen für Fertigmedikamente betritt, kann sich kaum mehr vorstellen, wie die Apotheken des 16. und 17. Jahrhunderts durch ihre überbordende Pracht der Einrichtung punkteten … ihre Ausstattung erinnerte regelrecht an herrschaftliche Wunderkammern von der Art, wie es sie an zahlreichen europäischen Höfen schon in der Spätrenaissance gegeben hat. Hier haben die Könige, Herzöge und edlen Fürsten, die noch nicht zwischen Wundern der Natur und Errungenschaften des Menschen unterschieden haben, zauberhafte Kuriositäten wie Pflanzen- und Tierpräparate, kunstvolle Schnitzereien aus exotischen Materialien wie Schildpatt oder Kokosnüsse, vermeintliche Überbleibsel fantastischer Wesen aus fernen Ländern, aber auch astronomische Messgeräte, chirurgische Instrumente, Landkarten und Globen – kurz: alles was den Hofstaat zum Staunen brachte – bunt durcheinandergewürfelt. Einen Touch dieser Erlebniswelt kann man bei Museumsbesuchen im Grünen Gewölbe zu Dresden (die Welt Augusts des Starken), auf Burg Trausnitz in Landshut (die Wunderkammer Albrechts V.), auf Schloss Friedenstein in Gotha (die Sammlungen der Herzöge von Sachsen-Gotha) und anderorts heute noch erspüren.
Wie der Landesherr – so auch der Apotheker jener Zeit. Was dieser am Rezepturtisch trieb, konnte der Patient, der die Offizin nicht betreten durfte, sondern draußen auf die fertig gemixte Arznei warten musste, nur durch ein schmales Fensterchen (kaum größer als die heutige Nachtdienstklappe) erspähen. Dort sah er präparierte Gürteltiere, Narwal-Stoßzähne (die Hörner des legendären Einhorns), sonstige Tierhörner und -klauen, lebende Schlangen, wundersame Meerestiere wie stachlige Kugelfische und vieles mehr … die Grenzen, was zur Arzneizubereitung tauglich und was nur schiere Symbolik für Fremdartigkeit und Exotik und damit Indiz für die Wirksamkeit der Arznei war, waren dabei fließend. Regelmäßig hing von der Decke – wie in höfischen Wunderkammern! – ein gigantisches ausgestopftes Reptil, zumeist war’s ein Krokodil. Über unseren bescheidenen Wundern – Koralle, Nautilus, Straußenei und Igelfisch, die unter Glasstürzen auf dem Rezepturtisch stehen – schwebt zwar nur ein kleiner Bindenwaran, der Zweck dieser Präsentation ist aber – in dosierter, artenschutzrechtlich unbedenklicher Form – der gleiche.
Sämtliche Arzneien mussten einst, als es industrielle Fertigmedikamente noch nicht gab, aus den „Drei Reichen der Natur“ hergestellt werden: Dem Reich der Tiere, zu dem auch der Mensch gehört, dem Reich der Pflanzen und dem Reich der Steine (= Mineralien). Sehr schön sieht man dieses Motiv auf unserem italienischen Albarello des 18. Jahrhunderts: Palme auf einem Felsen, an dem sich eine Schlange emporwindet – ein häufig verwendetes Apotheken-Emblem.
Was ein Zauberer einst fabrizieren musste, wissen die Kids ganz genau. Um 9 Uhr erscheint die erste Gruppe der Jahrgangsstufen 1 und 2, denen man über Harry Potter nichts mehr erzählen muss – denn sie wissen viel mehr darüber als Sieglinde oder ich. Um die Kurve zur historischen Zauber-Arznei zu kriegen, kommt man indes um Harry Potter nicht herum – denn selbstverständlich ist aus allen drei Reichen der Natur gemacht, was der junge Harry in der Hogwarts-Schule unter Anleitung von Großmeister Professor Severus Snape kochen musste – z. B. gegen verletzungsbedingte Schwellungen den so genannten „Abschwelltrank“:
Zutaten
frisches Bergwasser
flüssiges Silber
Gänseblümchenwurzeln
Pufferfischaugen
Das Bergwasser zusammen mit dem flüssigen Silber in den Kessel geben. Das Silber bildet einen magischen Kreis in der Mitte des Kessels. In diesen Kreis den Zauberstab eintauchen und mit diesem leichte Rührbewegungen ausführen. Während des Rührens den Kessel langsam erhitzen, bis das Wasser und Silber sich zu einer dickflüssigen Masse verbinden.
Die Gänseblümchenwurzeln zerkleinern und in die inzwischen silberne Flüssigkeit geben. Achtung: Bei abweichender Farbe den Trank sofort vernichten, da in diesem Fall akute Explosionsgefahr besteht. Zweimal im Uhrzeigersinn und einmal gegen den Uhrzeigersinn umrühren. Das Ganze dreimal wiederholen. Währenddessen nach und nach die Pufferfischaugen hinzugeben und alles noch etwa 20 Minuten auf kleiner Flamme köcheln!
Huuui – ist das abwegig? Mitnichten! Der Pufferfisch ist übrigens der hochgiftige Kugelfisch – dazu verweise ich auf unseren harmloseren kleinen Igelfisch, der auch zur Familie der Kugelfischartigen gehört. Was weniger bekannt als Harry Potter-Rezepte: Die historische Apotheke kennt einen waschechten Zaubertrank – nämlich den Theriak (v. griech. thér(ion): Wildes, giftiges Tier)! Sein antiker Ursprung: Als Gegengift gegen Schlangenbisse im Prinzip schon länger bekannt, verabreichte König Mithridates VI. von Pontos sich mit Hilfe seines Leibarztes – aus Angst vor einem Giftanschlag – Vipernfleisch, gemischt mit Honig und wechselnden Kräutern, Wurzeln und sonstigen, insgesamt bis zu rd. 65 verschiedenen Ingredienzen.
In historischen Apotheken des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit wurde die Palette der Zutaten nach und nach auf rd. 300 erweitert und Theriak als Universal-Wundermittel gegen Krankheiten und Gebrechen aller Art angepriesen – selbst gegen die Pest sollte es wirken, da man das ja seinerzeit nicht besser wissen konnte. Honig war stets die schmackhafte süße Trägersubstanz, und spanischer Wein und Opium waren immer dabei; weil man ja nichts anderes an Rausch- und Schmerzmitteln kannte, möglicherweise die einzigen Zutaten, die an dem Gebräu tatsächlich eine Wirkung entfalteten. Zu dieser zähflüssigen Masse wurden nun die verschiedensten Kräuter und Gewürze gemixt, alles, was man so hatte, je exotischer und teurer, desto besser – grundsätzlich regelmäßig dabei: Engelwurz (Radix Angelicae pulverisata subtilis), so genannte Schlangenwurz (Radix Serpentariae) – meinte eigentlich Pfeifenblumen , Baldrianwurzel (Radix Valerianae), Zimtrinde (Cortex Cinnamomi), Meerzwiebel (Bulbus Scillae), Zitwerwurzel (Rhizomae Zedoariae), Kardamomfrüchte (Fructus Cardamomi), Myrrhe (Myrrhae pulvis subtilis) und schließlich, etwas aus dem Reich der Mineralien musste ja auch etwas dabei sein, Eisensulfat.
Um die teure Arznei nicht nur für die Reichen, sondern allgemein erschwinglich zu machen, wurde Theriak indes nicht nur von Apothekern in kostbaren Gefäßen angeboten, sondern auch von fahrenden Händlern, Krämern und Quacksalbern vertrieben, die aber die teuren, da schwer zugänglichen Gewürze aus dem Orient durch Zutaten minderer Qualität ersetzten. Rezepturen auf Knoblauchbasis z. B. waren der so genannte Theriak der Armen. Um die billige Konkurrenz zu schlagen und einen einheitlichen Standard zu sichern, verlangten Apotheker deshalb vielerorts eine kontrollierte öffentliche Herstellung. Die Ergebnisse blieben dennoch unterschiedlich, Produktionsstätten wetteiferten miteinander – als Highlight geriet am Ende die Theriakherstellung unter Aufsicht höchster Autoritäten, Ärzte, Ratsherren und Apotheker auf den Marktplätzen von Venedig, Nürnberg und Amsterdam zu einem mehrtägigen Event.
Rezepturen für Theriak finden sich in den Pharmakopöen noch weit bis ins 19. Jahrhundert – ja, sogar im ersten einheitlichen Deutschen Arzneibuch von 1872 ist er noch erwähnt! Schlangenfleisch und andere tierische Substanzen waren hier allerdings schon gestrichen, Opium verschwand wenig später.
Was machen wir heute? Wir schlüpfen in die Rolle des historischen Apothekers und simulieren die Theriakherstellung auf unserer Terrasse. Dafür dürfen die Schülerinnen und Schüler erst mal durch ein kleines, halb zugewachsenes Seitentor am Museum (ein spannendes Zauber-Tor, das ihnen schon länger Rätsel aufgegeben hatte!) in unseren Garten kriechen und sich vor dem „Rezepturtisch“ aufstellen. Mit dem Wetter haben Sieglinde und ich erstmals bei einem Event Glück … weder regnet es, noch ist es zu heiß, noch geht ein störender Wind. Das haben wir uns doch mal verdient angesichts der Einbeziehung empfindlicher Museumsexponate in den Aufbau, der so sonst nicht möglich gewesen wäre:
Die Zutaten stehen bereit – die ausgestopfte Kobra dient selbstverständlich nur zur Anschauung – und es kann losgehen: In einen Mönchengladbacher Vintage-Mörser der 1970er Jahre – dekorativ und für die Schau leicht handhabbar, auch wenn er vermutlich nie in einer Apotheke gestanden hat – fließt als Grundsubstanz Honig, den ich mit Sherry, zuvor eingefüllt in ein spanisches Milchglasgefäß um 1860, versetze. Fast 200 Jahre alte Opiumkonfekt-Stangen aus unserer englischen Reiseapotheke bleiben natürlich außen vor. Unter stetigem Rühren mit dem Pistill mische ich virginische Schlangenwurz, Ceylon-Zimt, Kardamom und Zitwerwurzel (fertig abgepackt aus dem Kräuterkantor) hinein, selbst gesammelt ist nur die Baldrianwurzel aus dem Vorjahr (der Baldrian wächst weiß blühend und spektakulär hoch am Teichrand). Engelwurz wächst in gewaltigen Blättern im Hochbeet, doch verwendet werden muss die getrocknete Wurzel – und die gebe ich aus einem französischen Porzellangefäß mit Palmen und Ranken aus dem Hause Acloque (1804-1814) hinzu.
Mit kleinen Handwaagen, die er mit Mini-Gewichten im Milligramm-Bereich bestückte, wog der Apotheker einst kleinste Mengen an Substanzen ab; in besagter englischer Reiseapotheke um 1840 findet sich ein solches Exemplar. Wenige Bröckchen des Harzes vom Myrrhenstrauch zeige ich aus einer Holzdose des 19. Jahrhunderts mit der Aufschrift Olibanum (Weihrauch) vor. Zu den verwendeten Pflanzen, die bei uns nicht wachsen, präsentieren wir jeweils eine historische Abbildung aus Köhler’s Medizinal-Pflanzen (Ende 19. Jh.).
Wir rühren und rühren … leider ist unsere Zeit begrenzt, bei der Original-Schau dauerte dieses Spektakel stundenlang, bis alle Ingredienzen komplett gemörsert und sich gleichmäßig auf die zähflüssige Masse verteilt hatten. Wir müssen uns mit einer halbwegs sämigen Konsistenz zufriedengeben und füllen die Latwerge am Ende ab in ein französisches Porzellangefäß des 19. Jahrhunderts mit der passenden Beschriftung Thériaque. Juchuu! ….. Applaus.
Verabreichen dürfen wir unseren Zaubertrank leider nicht! … Erstens ist er mit Alhokol nichts für Kinder, und zweitens verpassen diese auch nichts, denn das Gemisch schmeckt bitter-streng! Achtung – Theriak ist kein in Deutschland zugelassenes Arzneimittel mehr! Unter der Bezeichnung „Schwedenkräuter“ / „Schwedenbitter“ (Rezeptur nach Maria Treben) ist ein Nachfahre des einstigen Zaubertranks noch in einer stark reduzierten Variante in naturheilkundlichen Shops erhältlich.
Aber wir wollen doch noch etwas probieren? … Selbstverständlich! – da wollen wir die Kids keineswegs enttäuschen. Zurück geht’s in die Offizin, wo wir einen leckeren Tee mischen. Allerlei Selbstgesammeltes aus dem Garten und der näheren Umgebung haben wir, so weit es geht in historischen Behältnissen, in unserer Eventküche an getrockneten Teedrogen zusammengestellt – Pfefferminze und Schafgarbe in Holzdosen des 19. Jahrhunderts, Melisse / Lavendel in einer Original-Spanholzdose aus der ehemaligen Hubertus-Apotheke um 1950, Kamillenblüten in einer Pappdose um 1930, Himbeer-Blätter in einer typischen Weißblechdose um 1960 (so genannte „Horo-Dose“), ferner Hagebutten, Erdbeerblätter, Brombeerblätter, Rotkleeblüten … jeder darf ein Löffelchen in die Mischung einbringen + noch einige Löffel garantiert wohlschmeckender Fertig-Teemischungen aus verschiedenen Bio- und Klosterläden. Während der Tee zieht, liest Sieglinde aus Esslingers Vorlesegeschichten „Hokuspokus Hexenspaß“ eine spannende Story über die Hexe Wanda-Amanda, die, alt geworden und eigentlich reif für die Rente, beschloss, ab sofort nur noch montags zu hexen. Der Montag war nämlich ihr Glückstag, weil sie an einem Montag geboren war und die Hexenkräuter montags immer besonders aromatisch und lecker waren!
Und dieser Montag ist auch unser Glückstag! Denn der Tee ist gut gelungen und kommt gut an, und auch das Wetter hat gehalten.
Um 11 Uhr wiederholen wir alles noch einmal für die Jahrgangsstufen 3 und 4. Hier lesen wir aber, während der Tee zieht, nicht die Hexengeschichte, sondern beantworten einige Fragen zum Museum und zu unseren Exponaten, an denen die Größeren schon ein beachtliches Interesse aufbringen. Auch hier servieren wir einen leckeren Kräuter- und Früchte-Tee, der uns den Montag versüßt!
Viel Spaß hat’s gemacht! Jederzeit gerne sind uns nach der Sommerpause wieder Klassen willkommen.
Die Veranstaltung war recht beliebt, so dass wir sie im Oktober und November 2023 mit zwei weiteren Klassen wiederholen konnten. In der kalten Jahreszeit konnten wir die Theriak-Simulation nicht draußen machen, jedoch durch praktische Übungen in der Offizin (Substanzen wiegen, Pillen drehen u.a.) ergänzen. Es macht immer wieder viel Spaß.